Paper Girls bei Amazon Prime: Was, wenn das Zukunfts-Ich nicht sympathisch ist?
Vier Protagonistinnen reisen in die Zukunft, geraten zwischen sich bekriegende Zeitreise-Fronten, treffen aufs eigene Ich. Streaming-Empfehlung für „Paper Girls“.

Die Frage, ob seinem zukünftigen Ich zu begegnen eine verlockende oder doch eher eine ziemlich schreckliche Vorstellung darstellt, ist nicht leicht zu beantworten. Das Künftige könnte so viel besser sein, als man zu hoffen wagt. Das Künftige könnte aber auch so viel schlimmer sein, als man es womöglich befürchtet. Karriereziele könnten erlangt oder für immer unerreicht bleiben. Man könnte sich in einer liebevollen Partnerschaft oder in quälender Einsamkeit wiederfinden. Familie und Freunde könnten das eigene Leben bereichern oder längst daraus verschwunden, eventuell sogar tot, sein.
Die Frage, ob man seinem um ein paar Dekaden gealterten Selbst gerne gegenübertreten würde, ist eine, die „Paper Girls“ ganz automatisch aufwirft. Denn die vier zwölfjährigen Heldinnen der neuen Serie auf Amazon Prime Video treffen selbst nach und nach auf ihre erwachsenen Versionen – sofern es sie in der Zukunft überhaupt noch gibt. Dabei müssen sie vor allem feststellen, dass das Leben, allen Träumen zum Trotz, meist ganz eigene Pläne hat und im Zweifel alles anders kommt, als man es sich ausgemalt hat. Manchmal ist es ein Wandel zum Besseren, manchmal zum Schlechteren.
Skurrile Situationen in der Zukunft
Dass sie überhaupt in diese skurrile Situation geraten, ist dem Zufall geschuldet. Eigentlich sind die Mädchen in den frühen Morgenstunden nach Halloween im Jahr 1988 mit ihren Fahrrädern unterwegs, um Zeitungen auszutragen. Für Erin (Riley Lai Nelet) ist es die erste Schicht überhaupt. Ihren Nebenjob sieht sie als erste Station einer glänzenden beruflichen Laufbahn, die sie mindestens in den Kongress führen soll. Dass es bereits diese Stelle in sich hat, muss sie gleich an einer der ersten Haustüren im verschlafenen Vorort von Cleveland (Ohio) feststellen, als ein mürrischer alter Mann sie des Diebstahls bezichtigt. Wahrscheinlich als rassistische Reaktion auf ihre asiatischen Wurzeln.
Gerade als ihr Tiffany (Camryn Jones), die den Job auf Drängen ihrer ehrgeizigen Mutter bereits seit Längerem nachgeht und derlei Auseinandersetzungen als Afroamerikanerin bereits kennt, zur Hilfe geeilt ist, bahnt sich auch schon der nächste Konflikt an. Mac (Sofia Rosinsky), aus einem von Armut und Gewalt geprägten Elternhaus stammend, trägt ebenfalls schon länger Zeitungen aus und ruft die beiden zu sich, um K.J. (Fina Strazza) aus den Fängen übergriffiger Teenager zu befreien. Sie ist die Einzige im Bunde, deren Familie über großen Wohlstand verfügt, was sie bei den Gleichaltrigen besonders unbeliebt macht.
Ein ungleiches Quartett
Kaum hat sich das ungleiche Quartett auf diesem Weg zusammengefunden, stolpert es bei dem Versuch, sich an den übergriffigen Jugendlichen zu rächen, in eine geheime Mission von Zeitreisenden – und wird versehentlich in die Zukunft, genauer gesagt in das Jahr 2019, katapultiert. Die achtteilige erste Staffel, die auf der gleichnamigen Comic-Reihe von Brian K. Vaughan („Y – The Last Man“) basiert, legt ihr Augenmerk auf zwei ganz unterschiedliche Schwerpunkte: Neben den Drama-Elementen, die um das Schicksal der vier Protagonistinnen kreisen, geht es um das große Mysterium sich bekriegender Zeitreise-Fraktionen, zwischen deren Fronten sie bald geraten werden.
Auf der Sci-Fi-Ebene kann „Paper Girls“ durchaus mit dem ein oder anderen interessanten philosophischen Gedanken aufwarten. So werden etwa – zumindest oberflächlich – Überlegungen wie diese angestrengt: Sollte die Menschheit in die Vergangenheit reisen, um ihre größten Verirrungen rückgängig zu machen? Wer würde darüber bestimmen, was in der Geschichte in die Kategorie „Fehler“ fällt? Die „Bösen“ sind in diesem Szenario etwas zu clownesk geraten, um sie tatsächlich ernst nehmen zu können.
Natürlich geht es aber immer zuerst um die Frage, wie sie jemals zurück in ihre eigentliche Gegenwart gelangen können, beziehungsweise ob sie das überhaupt wollen. Es ist die mit großem Feingefühl erzählte Dynamik zwischen den Mädchen – die immer wieder von den Auswirkungen unterschiedlicher kultureller und sozioökonomischer Hintergründe geprägt ist –, die zusammen mit dem ebenso sorgsam beobachteten Seelenleben jeder Einzelnen am meisten an der Serie überzeugt. Die unter anderem von Stephany Folsom kreierte erste Staffel ist somit ein vielversprechender Auftakt einer ungewöhnlichen Abenteuerreise, die ausnahmsweise mal aus weiblicher Perspektive beleuchtet wird.
„Paper Girls“, zu sehen auf Amazon Prime Video. Serienstart am 29. Juli
Bewertung: 4 von 5 Punkten