Pfeilgiftfroschgrün: Enttäuschungen im Nagelstudio
Unsere Autorin entdeckte in New York die gehobene Nagelpflege für sich. In Berlin merkte sie: Maniküre und Beziehungen hängen enger zusammen als man denkt.

Meine erste Mani Pedi hatte ich in New York, als ich einen Sommer lang als Catsitterin umsonst im pastellfarbenen Holzhaus einer befreundeten Familie wohnte. Was genau ich von der Stadt damals wollte, wusste ich nicht, aber es war essenziell für mich zu wissen, dass niemand was Konkretes von mir wollte. Meine bröckelnde Beziehung und unentschiedene Berufslaufbahn waren auf der anderen Seite des Ozeans, und in meiner Berliner Wohnung wohnte ein Mann aus dem Silicon Valley, der mir die Miete für zwei Monate im Voraus bezahlt hatte. Ich hatte „meine Ruhe“.
Das einzige, was mir Sorge bereitete, war mein Sommer-Budget, das wesentlich schneller schwand, als ich erwartete hatte. Ich hatte festgestellt, dass New York langweilig war, wenn man sich gewisse Freuden des Konsums versagte. Also entwickelte ich seltsame Methoden, um nicht zu viel Geld für meine Grundbedürfnisse auszugeben und stattdessen meinen neuen Luxus-Gewohnheiten nachzugehen. Ich ernährte mich hauptsächlich von Erdnüssen und schwarzem Kaffee – ging dafür aber alle eineinhalb Wochen ins Nagelstudio.
Pediküre ist in New York nicht ungewöhnlich
Sich eine Maniküre/Pediküre zu gönnen, ist in New York nicht ungewöhnlich – man sitzt auf dem großen Fake-Leder-Sessel mit Rückenmassagefunktion zwischen Menschen verschiedenen Alters, die alle unterschiedliche Erwartungen an ihren Besuch im Salon haben. Rechts neben mir ein sechsjähriges Mädchen, das sich jeden seiner zehn Finger in einer anderen Farbe lackieren lässt, links daneben ein über 80-jähriger Greis, der sich die Hornhaut entfernen lässt. Und gegenüber zwei hochschwangere Best Friends, die sich über Grundschulen an der Lower East Side unterhalten, während ihnen die Fuß- und Fingernägel in Classic Burgundy Red lackiert werden – wahrscheinlich die letzte Mani Pedi vor der bevorstehenden Geburt: damit die Hände, die das Neugeborene halten, auch makellos aussehen im Familienalbum.
Ich selbst war anfangs nur ins Nagelstudio gegangen, weil ich festgestellt hatte, dass es etwas war, was man in New York eben so tat – das war nämlich mein Hauptkriterium für die verschiedenen Aktivitäten, die ich in meinem planlosen Catsitter-Alltag ausübte.
Nach kurzer Zeit gewöhnte ich mich an die regelmäßige Berührung, die ich vorher vermisst hatte, denn ich hatte meine (wenn auch brüchige) Beziehung ja in Berlin gelassen. Auch meine Nägel gewöhnten sich daran, ständig neu geölt, geschliffen und lackiert zu werden – und wurden dabei, unter dicken Lackschichten, immer brüchiger. Die Mani Pedi war nun eine fast lebenserhaltende Maßnahme für sie. Die einzige Herausforderung, der ich zunehmend nicht gewachsen schien, war, eine Farbe auszuwählen, die mir gefiel. Das war eine echte Lebensentscheidung, und ich ziemlich schnell ziemlich uninspiriert.
Weiß wurde zu meiner neuen Farbe
Irgendwann in diesem Sommer fing ich eine kurze Affäre mit einem Maler aus Maine an, der immer wieder dasselbe Motiv wählte: Der sich verändernde Lichteinfall durch die halb geöffnete Haustür seines Elternhauses. An einem Morgen verließ ich mit ihm das pastellfarbene Holzhaus, und er brachte mich zu meinem Termin im Nail Salon zwei Straßenecken weiter. Seiner farblichen Expertise vertrauend, fragte ich: „Which color should I pick?“. Er sagte, ganz ohne zu überlegen: „white“. Ich war überrascht und angetan.
Es gab sieben verschiedene Arten weißen Nagellacks auf der Farbpalette, aber es fiel mir nun schon leichter, aus dem limitierten Spektrum auszuwählen. Ich trug den Rest des Sommers nur noch weiß auf meinen Nägeln – der Maler entschied in denselben Wochen, zurück nach Maine zu ziehen.
Seit diesem Sommer in New York gehe ich auch in Berlin in unregelmäßigen Abständen in Nagelstudios. Für eine Weile war ich Stammgast in einem Salon auf der Kantstraße, in dem es einen Mitarbeiter gab, dessen fast medizinische Berührungen an Händen und Füßen ich – in einem langen, unberührten Winter – besonders genoss. Auch ihm gab ich irgendwann einfach eine Carte Blanche und ließ ihn die Farbe bestimmen – er war leicht genervt und orientierte sich an der Farbe meines Pullovers. Als der Winter vorbei war, ließ ich diese Routine wieder unter den Tisch fallen – meine Nägel blieben, ein paar Monate lang, nackt.
Ich wusste, dass ich seine Erwartungen enttäuschen würde
Erst als ein Freund, auf den ich einen heimlichen (aber offensichtlichen) Crush hatte, mir sagte, manikürte Nägel würden mir gut stehen, machte ich einen Termin bei USA Nails am Kottbusser Damm. Ich entschied, die Entscheidung für die Farbe outzusourcen und fragte nach seinem Rat. Die Antwort zeugte, wie erwartet, von ziemlich gutem Geschmack und hohem ästhetischen Anspruch: „Pfeilgiftgrün mit gelben Highlights und transparenten ‚Wassertropfen‘ oben drauf.“
Ich wusste nicht mal, was pfeilgiftgrün war – fand aber heraus, dass er wahrscheinlich das spezielle Grün des „Schrecklichen Pfeilgiftfrosches“ meinte: ein in Kolumbien vorkommender, extrem giftiger „Baumsteigerfrosch“.
Ich zeigte der Frau bei USA Nails ein Foto des Tieres und sie fand tatsächlich ein aggressives Grün, das ziemlich nah an die Farbe dieses Froschs heranreichte. Was die weiteren, elaborierten Vorstellungen meines Freundes betraf, war die Kommunikation schwierig – alle Wünsche, die die schon existierenden Vorlagen überstiegen, waren fast unmöglich zu formulieren. Ich versuchte, mich mit visuellen Mitteln auszudrücken, hatte aber auch zunehmend das Gefühl, dass meine Extrawünsche gegen einen unausgesprochenen Ehrenkodex verstießen. Wissend, dass ich die Erwartungen meines Freundes enttäuschen würde, einigte ich mich auf einen Kompromiss und wählte das gewünschte Pfeilgiftfroschgrün ohne Wassertropfen und Highlights.
Ich war ehrlich gesagt ziemlich zufrieden mit meiner Wahl, gleichzeitig aber auch etwas aufgeregt, was der Freund sagen würde. Mir kamen die Kommunikationsschwierigkeiten im Nagelstudio zunehmend wie eine Allegorie auf Beziehungen vor: Die Ansprüche sind hoch, und am Ende gibt es vor allem Missverständnisse und Missgeschicke. Immerhin überraschend sind sie. Und manchmal, in ihrer Missglücktheit, auch irgendwie bezaubernd, zumindest sofern man von den eigenen Erwartungen absehen kann. Im besten Fall wird man unerwartet bereichert. Es lohnt sich also, trotzdem weiterzumachen und das Scheitern zu genießen. Eine echte Auseinandersetzung mit einem anderen Menschen beinhaltet wohl immer auch einen Grad an Missverständnis.
Wechselnde Ideale
Trotzdem: Eine Maniküre ist nicht gerade billig, man bezahlt einigermaßen teuer für den eigentlich nutzlosen, gesundheitlich gar kontraproduktiven Aufwand – und ob sich das Investment am Ende wirklich lohnt, ist unklar. Aber: Die unter dem Lack brüchig werdenden Nägel wachsen ja zum Glück, und man kann sich entscheiden, ob man sie abschneidet oder ob man sie noch länger wachsen lässt und sich darüber freut, dass man beim nächsten Versuch ein bisschen mehr Gestaltungsspielraum hat und dem Ideal vielleicht etwas näher kommt. Ob es dann das eigene Ideal ist oder das eines anderen, ist eine andere Frage.
Der Freund, auf den ich einen heimlichen (aber offensichtlichen) Crush hatte, war, wie ich vermutet hatte, eher enttäuscht als angetan von dem Ergebnis und empfahl mir eine andere, bessere Nagel-Stylistin. Ob ich sie konsultieren werde, weiß ich noch nicht – es muss ja nicht immer alles nach Plan verlaufen.
Was ich an meinem Besuch bei USA Nails besonders genoss, war, dass ich für eine Weile meiner taktilen Fähigkeiten beraubt war. Ich schlurfte mit gespreizten Zehen und Fingern durch den gut klimatisieren Salon, draußen waren 36 Grad, und ich sank in das Polster dieses Fake-Leder-Sessels mit Rückenmassagefunktion, machte die Augen zu und gab alle Verantwortung ab. Nicht mal mein Telefon konnte ich bedienen, zumindest ein paar Minuten lang.
Weil ich so lange keine Pediküre gemacht hatte, war ich allerdings der Intensität des Kratzschwammes auf meiner Fußsohle nicht mehr gewachsen und schrie vor Schmerz, Kitzel und Glück so laut auf, dass sich der ganze Salon, leicht voyeuristisch, nach mir umdrehte. Zum ersten Mal realisierte ich, dass es sich bei Mani Pedi – nicht nur im übertragenen Sinn – um eine erotische Handlung handelte.