Pilzsuche für Leser: Zum Tod des Lektors Raimund Fellinger

Er kümmerte sich um das Werk von Christoph Hein und Peter Handke, betreute Thomas Bernhard und Uwe Johnson. Raimund Fellinger war bei Suhrkamp Anwalt der Autoren im Dienste ihrer Bücher. 

Berlin-Man könnte meinen, dass ein Lektor, der im Jahr 1979 beim Suhrkamp-Verlag angefangen hat und dort Thomas Bernhard und Peter Handke betreute, Christoph Hein und Uwe Johnson, mit dem Lauf der Zeiten unzufrieden gewesen wäre. Die Schnelllebigkeit des Marktes, die technische Revolution haben ja den Beruf ganz schön verändert. Doch Raimund Fellinger, seit 2006 auch in der Position des Cheflektors, beschrieb in einem Gespräch mit jungen Kollegen aus der Branche vor drei Jahren, wie vieles doch einfacher geworden sei.

Raimund Fellinger (1951-2020).
Raimund Fellinger (1951-2020).dpa/Bernd Wüstneck

Der Weg des Manuskripts zum Buch sei erfreulich schneller. Und wenn früher etwa Peter Handke in einem Manuskript Pilze erwähnte, wie in „Mein Jahr in der Niemandsbucht“, 1994 erschienen, und er den Eindruck hatte, da stimme etwas nicht, habe er 300 Seiten zurückblättern und suchen müssen. „Heutzutage gibt man ,Pilz, Champignon‘ ein und ratz-fatz hat man das.“ Ob der Lektor nun nicht auch Marketingspezialist oder Produktmanager sei? Man habe auch früher nicht so tun können, als ob einen das Schicksal des Buches auf dem Markt oder in der Presse nichts anginge.

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Der Lektor arbeitet als Dienstleister in zwei Richtungen: Er dient dem Autor und dem Verlag mit dem Ziel, das Bestmögliche aus einem Manuskript herauszuholen. Und da Schriftsteller sensible Geschöpfe sind, die Zweifel am Satzbau auch als Kritik am Werk auffassen können, braucht der Lektor neben dem Wissen über Literatur diplomatisches Geschick. So etwa kam Fellinger zu Thomas Bernhard: Der wollte nicht mehr vom Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld (1924–2002) selbst betreut werden. Ein Cheflektor hat das Profil eines Verlags zu schärfen und zu weiten, weshalb Fellinger sich nicht nur für seinen hochliterarischen Handke einsetzte, der schließlich den Nobelpreis bekam, sondern auch für die intelligenten Krimis eines Friedrich Ani.

Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung erzählte Fellinger einmal, die größte Zäsur sei für ihn gewesen, sich mit 16 Jahren von Fußball und „intensivster“ Leichtathletik ab- und dem Lesen zugewandt zu haben. Davon profitieren bis heute ungezählte Leser, auch dadurch gedieh die vielbeschworene „Suhrkamp-Kultur“. Wie der Verlag mitteilt, ist Raimund Fellinger am Sonnabend im Alter von 68 Jahren in Frankfurt am Main verstorben.