„Polizeiruf 110“ ohne Raczek: In Brandenburg gewinnt nur der Insolvenzverwalter
Unglückliche Brandenburger suchen Sinn auf dem Jakobsweg, und auch der genderfluide Kommissar Ross muss sich umorientieren. Die TV-Kritik zum Krimi am Sonntag.

„Warum geht jemand wie Sie eigentlich zur Polizei?“, fragt der Brandenburger Dorfsheriff Karl Rogov (Frank Leo Schröder) seinen jungen Kollegen Vincent Ross (André Kaczmarczyk). Der Ermittler ist auffällig geschminkt und stolziert hochhackig durch die sandige Pampa, als posiere er für Werbeaufnahmen. „Dressman“ darf man ihn vermutlich nicht nennen, der RBB betont stolz, Vincent Ross erfülle den Begriff „genderfluid“ mit Leben. Auf jeden Fall ist er von seiner Mission überzeugt. Dem bodenständigen Kollegen antwortet er: „Weil sich alles ändern muss!“
Doch was genau kann ein extravaganter Polizist in einem märkischen Dorf an der Grenze zu Polen eigentlich ändern? Ist er ein Vorreiter oder bleibt er ein Außenseiter? In seinem dritten Auftritt wirkt Ross nicht mehr arrogant, sondern erweist sich als aufgeschlossener, positiver Typ. Der psychologisch geschulte Kriminalist muss diesmal vor allem als Seelentröster agieren. Sein Outfit ganz in Schwarz erinnert nicht zufällig an einen Pastor. Der Fall „Der Gott des Bankrotts“ handelt von Menschen, die mit ihrer Firma pleite gegangen sind. Zu Beginn wird ein Landwirt aus Polen unweit des Jakobswegs erschossen aufgefunden. Die Verbindung des Themas Insolvenz mit der Sinnsuche auf dem Jakobsweg wirkt allerdings recht erzwungen: Denn nicht nur der erschossene Landwirt war auf Pilgertour, auch die Tochter einer insolventen Druckereibesitzerin und die Tochter des Insolvenzverwalters wandern seltsamerweise gemeinsam vor ihren Problemen davon: „Ich bin dann mal weg“.
Adam Raczek fehlt spürbar
Auch eine weitere Kopplung von Drehbuchautor Mike Bäuml erscheint konstruiert. Denn der hartherzige Insolvenzverwalter (Bernhard Schir) arbeitet nicht nur eng mit einem scheinbar verständnisvollen Schuldnerberater (Godehard Giese) zusammen, sondern ist mit ihm privat liiert. Sogar im RBB-Pressetext erklärt ein Experte, dass kein Gericht diese verquickende Konstellation zulassen würde. Doch in der Fiktion erweist sich die versteckte Zusammenarbeit der beiden nach dem Motto „Good cop, bad cop“ als verhängnisvoll für die überforderten Überschuldeten. Wie sehr sie sich unter Druck gesetzt fühlen und zu verzweifelten Schritten getrieben werden, das zeigt die Figur der insolventen Druckerin (Imken Büchel) sehr eindrücklich: Sie legt ihre Finger unter die Papierschneidemaschine, um Geld von der Versicherung zu bekommen. Eine abgründige Figur ist ihr Schuldnerberater, der mit den Abhängigkeiten spielt – Godehard Giese braucht dafür nicht viele Worte. Insgesamt zeichnet das Drama von Regisseur Felix Karolus den Osten Brandenburgs als Region des sozialen Abstiegs – hier gewinnt nur der Insolvenzverwalter.
Eine weitere Kooperation aber ist geglückt: Denn Frank Leo Schröder spielt genau den hemdsärmeligen Kollegen, den der extrovertierte Vincent Ross braucht – schließlich war sein Partner Adam Raczek (Lucas Gregorowicz) ja mit dem vorigen Fall abgetreten. Er fehlt schon jetzt. Ross spricht diesmal sogar etwas Polnisch, auch wenn er sich längst nicht so intensiv auf die Menschen jenseits der Grenze einlassen kann wie Raczek. Doch leider scheint der Auftritt von Karl Rogov nur ein Gastspiel zu bleiben.
Wertung: 3 von 5
Polizeiruf 110: Der Gott des Bankrotts. Sonntag, 5. Februar, 20.15 Uhr, ARD