Prefab Sprout: Irre Hormone, ungeklärte Lebensverhältnisse

Man hat das schon über verschiedene Leute gesagt – Bob Dylan, David Bowie, Brian Eno, Green Garthside –, doch auf keinen trifft es so zu wie auf Paddy McAloon und seine Band Prefab Sprout: Er konzipiert mit nahezu jedem Album ein Modell davon, was Popmusik an sich sein könnte, spielt es durch, und es wird perfekt. Der Enthusiasmus ist gewaltig, der Künstler gerät aber erst einmal in eine Krise. Zwischen den Veröffentlichungen klaffen gewaltige Lücken, Alben erscheinen 17 Jahre nach Arbeitsbeginn, und Fan-Webseiten können über ein halbes Dutzend vielversprechende Albumtitel von aufgegebenen, aber fast fertigen Projekten auflisten: „Earth: The Story So Far“, „Behind The Veil“, „Blue Unicorn“, „The Atomic Hymnbook“, „20th Century Magic“, „Jeff & Isolde“, „Digital Diva“ oder „Doomed Poets Vol. 1“. Doch trotz des ehrgeizigen Erneuerungs- und Erfindungswillen um eherne Monumente kann man – wie bei den anderen Genannten – seine Kunst leicht identifizieren. Ein Prefab-Sprout-Album erkennt man nach wenigen Sekunden, beim Einsetzen des Gesangs: so großzügig, so hochgestimmt, so selig. In allen Inkarnationen dieser Band, die mittlerweile nur noch aus Paddy McAloon allein besteht, ist das erste, was uns erreicht: ungebremster Überschwang.

Astronomische Ambitionen

McAloon backt keine kleinen Brötchen. Seine warme schmeichelnde, anstrengungslos eindringliche, vollaufgedreht flüsternde Stimme springt dem Zuhörer zart ins Gesicht. Sie kuschelt sich um ihn wie Kaschmirflausch, lässt keinen Zweifel daran, dass man in einen sehr speziellen Bezirk geraten ist. Wir befinden uns in einer glitzernden Welt der Hingabe, eingeladen zu Erfahrungen emotionaler Einzigartigkeit in einer überwältigenden, vokalen Wunderkammer.

Deren Dimensionen und Reichtum entsprechen vor allem bei McAloons späteren Werken nur sehr zart von Selbstironie angekränkelte, die astronomischen Ambitionen nie verschweigende Titel: „Let’s Change The World With Music“ oder „Andromeda Heights“. Sein letztes seinerzeit neues Album war allerdings Produkt einer besonderen, nicht nur künstlerischen Krise: Eine Augenerkrankung schien mit Blindheit zu drohen, ein schwerer Tinnitus quälte ihn. Er entschloss sich, das bizarre semisymphonische Instrumental-Album „I Trawl The Megahertz“ als Solo-Album zu veröffentlichen, das klang, als solle es eine orchestrale Wattemauer zwischen McAloon und der Welt errichten. Er ließ sich einen weißen Bart wachsen – länger und weißer als der von Moondog – und verschwand hinter undurchdringlichen Brillengläsern. Die Gemeinde raunte erschrocken von einem Vermächtnis. Das war im Jahre 2001.

Doch nicht nur gesundheitlich geht es McAloon augenscheinlich wieder besser. Er hat jetzt auch nicht, wie oft erwartet, eine seiner liegen gebliebenen Wunderlichkeiten ausgegraben (Alben, bei denen er sich gezwungen hat, bei jedem Song an Rod Stewart zu denken, oder Lieder für künstliche digitale Sängerinnen), sondern ein neues Prefab-Sprout-Album rausgehauen, das kein neues Modell zwischen idealisiertem Cowboylied, Transzendentalsoul und kosmischem Weltschmerz ausprobiert, sondern klingt wie … das neue Prefab-Sprout-Album. Wäre er Dylan und hätte er statt Tinnitus und Augenleiden einen Motorrad-Unfall gehabt, würde ich sagen: „John Wesley Harding“, nicht nur weil es ein paar kleine Parallelen gibt: Die Bibel- und Faust-Paraphrase „Devil Came A Calling“ erinnert an den „Wicked Messenger“, auch die Mischung aus gebremst sentimentaler Western-Abstraktion mit Fabelhandlungen bei „Billy“ oder der Geschichte vom traurigen Erbauer des Taj Mahal („Grief Built This Taj Mahal“) und die vielen Mundharmonika-Spritzer, die das durchgehend auf akustischen Gitarrenrhythmen aufbauende Album beleben, gemahnen an den geläuterten Dylan.

Gegenentwurf zum narzisstischen Gepiepse

Vor allem aber herrscht auf „Crimson/Red“ eine Zuversicht, die weniger aus einer freundlicheren Weltsicht als aus einer offensichtlich wieder gefundenen Selbstsicherheit in Bezug auf die geliebten Formen und Themen entspringt. Auch der Rauschebart wirkt gepflegt.

Die geliebten Formen aber sind Larger-Than-Life-Inszenierungen zwischen klassischem Hollywood (der rasante Eröffnungssong „The Best Jewel Thief in the World“ ist eine Hommage an Cary Grant in Hitchcocks „To Catch A Thief“) und Joyce’schen Epiphanien („knives flashing in fountains /Poison, Capulets, letters that go astray“). Doch halt, noch etwas Drittes: Die letzten Worte stammen aus einer Feier der Pubertät, einer Hymne an die unklaren Zustände des Heranwachsens: „Adolescence – what’s it like: It’s a psychedelic motorbike / You smash it up ten times a day / then you walk away / it’s moonlight on a balcony / it’s pure hormonal agony“.

Denn irre Hormone und ungeklärte Lebensverhältnisse sind neben großer Kunst und Kino das dritte Element, an das McAloon sich jetzt genauso offensiv wieder herantraut wie in seinen mit Ende 20 veröffentlichen ersten Alben „Swoon“ und „Steve McQueen“. Er gehört zu der seit den Achtzigerjahren stark geschrumpften Gruppe von Pop-Song-Autoren, denen der Larger-Than-Life-Moment nicht durch seinen inflationären Missbrauch in 30 Jahren Dauer-Retro-Kultur und Dauerfeier der Hollywood-Bilder, auf die sich Pop und Nouvelle Vague beriefen, verleidet worden ist. Emotionale Abgründe, bodenloser Jubel, schwindelerregende Stimmungsspiralen dürfen nicht zu Genres oder Filmförderungsideologie verkommen, mancher hat sich vor dem Geschwätz vom „großen Kino“ in Nüchternheit und Sachthemen zurückgezogen.

McAloon wendet sich seiner Lieblingsdisziplin der Übertreibung und Monumentalisierung von Soul und Seelenleben allerdings nicht ganz ungeschützt zu. Sein beherzter Gegenentwurf zum narzisstischen Gepiepse unserer Zeitgenossen ist überraschend konventionell – gemessen am Spätwerk – in Songarchitekturen eingelassen; gönnt sich lecker herausgearbeitete Orgelschlieren oder den digitalen Streicherschmelz nur in kleinen wohl gesetzten Dosen, versucht nicht zu beweisen, dass dem Künstler im Prinzip jedes Mittel zur Hand wäre, so dass man als neuer Zuhörer vielleicht nur einen besonders gut aufgelegten, nicht mit Gefühlen geizenden Singer/Songwriter kennenlernt.

Für uns ältere Freunde der Kunst von Paddy McAloon ist die so entstandene Spannung aus hochalpinem Balanceakt und solider Songsmith-Stabilität aber wieder einmal ein Genuss der besonderen Art.

Prefab Sprout: Crimson/Red (Embassy of Music/Warner)