Radu Jude zeichnet ein  Wimmelbild des Staatsterrors

Der rumänische Regisseur hat mit „Uppercase Print“ einen Dokumentarfilm über den Fall Mugur Calinescu gedreht, einen 16-Jährigen, der Ceausescus Staatsterror zum Opfer fiel. 

Berlin-Der Fall Mugur Calinescu ist gut dokumentiert. Die Akte, die von seinem „Verbrechen“ und dessen Nachspiel zeugt, ist so gründlich geführt, als wäre der damals 16-Jährige ein gefürchteter Terrorist gewesen. Tatsächlich aber war der 1965 geborene Mugur Calinescu im Jahr 1981 schlichtweg ein Teenager, der heimlich Radio Free Europe hörte und sein Verlangen nach Gerechtigkeit und Freiheit in Großbuchstaben an die Wände der Zentrale des kommunistischen Bezirksausschusses schmierte.

Radu Jude verbindet Performance und historischen Dokumentarfilm miteinander, um die Geschichte von Mugur Calinescu zu erzählen
Radu Jude verbindet Performance und historischen Dokumentarfilm miteinander, um die Geschichte von Mugur Calinescu zu erzählenSilviu Ghetie

Geschichte auf der Bühne

In den Akten des damaligen rumänischen Geheimdienstes Securitate aber ist Mugur schon kein Mensch mehr. Er ist ein „Subjekt“ ohne Linientreue, das entsprechend bestraft gehört. Weder seine Jugend, seine Zweifel noch seine Würde sind Teil des Prozesses, den der Staat mit allen Mitteln der Willkür führt.

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Radu Judes „Uppercase Print“ zerrt die Unmenschlichkeit, die hinter diesem Verfahren und damit auch hinter dem Staatsapparat von Nicolae Ceausescu steht, buchstäblich ins Scheinwerferlicht: Der Film basiert auf einem Theaterstück von Gianina Carbunariu und spielt fast ausschließlich auf der Bühne. Die Darsteller verlesen hier die Akten des Falls, stellen Privatgespräche nach oder mimen die Agenten der Securitate, die die Familie Calinescu im Schatten des Wappens der sozialistischen Republik belauschen.

Fernsehaufnahmen aus der Ära Ceausescu unterbrechen dieses Bühnenschauspiel wieder und wieder. Das Staatsfernsehen zeigt eine andere Realität: Den Entwurf eines Staatsbürgers, den sich das Regime wünscht, tanzende Kinder, singende Frauen und pflichtbewusste Verkehrspolizisten. Keiner der Ausschnitte, die der Film aus den Archiven auf die Leinwand bringt, läuft dabei in voller Länge. Abrupte Schnitte halten die Propagandamaschine immer wieder an, bevor sich der Zuschauer darin verlieren kann.

Ein Dokument der Erinnerung

Radu Jude verschnürt, wie schon in „Mir ist es egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen“, Archivmaterial und Performance. Ein Gebilde, das sich zu einem bedrückenden Abbild des stalinistischen Staatsterrors entwirrt. Die Tragik des persönlichen Schicksals, die aus den Akten des Geheimdienstes spricht, wird nach und nach auch in den Fernsehaufnahmen sichtbar. In den Wimmelbildern der Propaganda fallen plötzlich die Menschen ins Auge, die nur mechanisch oder gar nicht am fröhlichen Treiben teilhaben.

Man erkennt die Kinder, die zwischen ihren tanzenden Kameradinnen verloren auf den Boden starren; die Sängerinnen, deren Münder die Silben des Textes formen, ohne einen Laut zu erzeugen. Eben die Menschen, die das Theater des Stalinismus nur unter Todesangst mitgespielt haben. „Uppercase Print“ ist ein Dokument der Erinnerung für diese die namenlosen Opfer des Staatsterrors und für Mugur Calinescu. Ein Dokument in Großbuchstaben.