„First Love“ von Miike Takashi: Regeln sind zum Brechen da

In seinem 103. Film in 25 Jahren hetzt der japanische Regisseur wieder wild durch Handlung und Motive und badet knöcheltief in comichafter Gewalt, bevor ganz am Ende auch das Glück in die Morgensonne blinzeln darf. 

Tokio-Leo ist ein junger Boxer, der glaubt, dass er nichts mehr zu verlieren hat. Als also eines Abends in irgendeiner Gasse in irgendeinem zwielichtigen Viertel von Tokio ein Mädchen an ihm vorbeirennt und um Hilfe ruft, da fackelt er nicht lange und schlägt ihren Verfolger k.o. Der, so stellt sich bald heraus, ist ein korrupter Bulle, der mit einem jungen Yakuza im Bunde steht, der seinen Clan um eine üppige Drogenlieferung betrügen will, auf die es wiederum auch die Mitglieder einer chinesischen Triade abgesehen haben. Zusammengenommen ergibt das ohnehin schon eine nicht ganz einfache Ausgangslage – die noch zusätzlich kompliziert wird durch eine wutentbrannte Gangster-Braut auf persönlichem Rachefeldzug sowie das Kindheitstrauma des Hilfe suchenden Mädchens, das drogensüchtig ist und unter Halluzinationen leidet. 

Maimi Yajima und Masataka Kubota als lädierte Helden in „First Love“. 
Maimi Yajima und Masataka Kubota als lädierte Helden in „First Love“. Foto: Well Go USA
Anzeige | Zum Weiterlesen scrollen

Miike Takashi, der Urheber dieses Tohuwabohus, zählt zu den bemerkenswerteren japanischen Filmemachern der Zeit, denn so zügellos er in seiner Produktivität ist, so skrupellos ist er auch in seinem Umgang mit den Konventionen. Regeln sind dazu da, um sich über sie hinwegzusetzen, Genres liefern narrative Versatzstücke, die sich nach Belieben neu kombinieren lassen; die ganze Filmkunst ist ein weites Experimentierfeld, das Miike frech besetzt und auf dem er sich mit Chuzpe bewegt. Freilich liegt es in der Natur der Sache, dass ein unter solchem Hochdruck entstehendes Oeuvre – „First Love“ ist Miikes 103. Film in 25 Jahren – nicht aus einer Reihe von Meisterwerken bestehen kann, ja dass es nicht annähernd einen qualitativ einheitlichen Eindruck vermittelt.

Auch „First Love“ ist jenes atemlose Tempo eingeschrieben, das Miikes ganzes Arbeiten bestimmt: ein Voranpreschen der Handlung, die sich nicht um Exposition, Charakterisierung oder Motivation schert. Vielmehr folgt eine faktische Setzung der nächsten, erst Zack, dann Bumm und Punkt auf Komma; dabei bleibt es den Schauspielern überlassen, in ihren skelettierten Szenen für jenes Fleisch zu sorgen, das die Zuschauer an den Figuren interessieren könnte. Und zwar bevor das zarte Gefühl einer erwachenden ersten Liebe gleich wieder von Waffenlärm und Kampfgeschrei übertönt wird. Zeit für Romantik ist wenig, denn „First Love“ wäre kein Film von Miike, wenn darin die Gewalt – in ihrer comichaften Ausprägung – nicht breiten Raum einnähme.

Wobei das Blutbad bei ihm jene archaische, reinigende Kraft besitzt, die den Überlebenden einen Neuanfang ermöglicht. Durchnässt blinzeln sie sodann in die Morgensonne und setzen zaghaft ihr Vertrauen in erhofftes Glück. Und endlich ringt auch die Zuschauerin nach Luft und fragt: War da was? Oder: Was war das? Omnia vincit amor, Miike style.

First Love (Hatsukoi), Japan 2019. Regie: Miike Takashi, Eurovideo-Medien, ca. 15 Euro