Rezo-Zerstörung der Presse: Ein Faktencheck

Rezos Kritik an Verschwörungstheoretikern und Medien ist grundsätzlich gut. Beim konkreten Faktencheck zeigt sich jedoch: Der YouTuber arbeitet nicht seriös.

Berlin-Es scheint so, als habe Rezo, jener bemerkenswerte YouTuber, der mit dem Video „Die Zerstörung der CDU“ auch außerhalb seiner Zielgruppe bekannt wurde, mal wieder alles richtig gemacht. Sein neuestes Werk heißt „Die Zerstörung der Presse“ und ist – anders als der martialische Titel vermuten lässt – eine differenzierte Auseinandersetzung mit Verschwörungstheorien sowie diversen Fehlleistungen der Presse. Der 27-Jährige erläutert durchaus kenntnisreich wie das eine mit dem anderen zusammenhängt.

Webvideoproduzent, Musiker und Medienkritiker Rezo 
Webvideoproduzent, Musiker und Medienkritiker Rezo dpa/Henning Kaiser

Die Resonanz auf das Video ist ganz überwiegend positiv: „Was Rezo sagt, stimmt alles“, jubelt etwa der Spiegel. „Seine Recherchen sind tadellos.“ Und der RBB freut sich über „ein Stück Medienkompetenz, wie sie in dieser Zeit mehr denn je Not tut.“

Wir hätten gern in diesen Jubelchor eingestimmt, denn Rezos neues Video ist über weite Strecken tatsächlich Aufklärung im allerbesten Sinne. Allerdings gibt es auch einen Abschnitt der „Falsche Behauptungen“ heißt. Dieser Teil wirft Fragen auf.

Im Kern geht es in ihm darum, dass Rezo Medien jeglicher Provenienz auf den Prüfstand stellt. Er will herausfinden, wie häufig sie fehlerhafte Berichte verbreiten. Der YouTuber hat zu diesem Zweck Berichte von Zeitungen, Zeitschriften und Online-Plattformen gecheckt, die ihn selbst betreffen. Aussortiert hat er Stücke, in denen er nur ganz am Rande vorkommt. Die übrigen Texte hat Rezo einem Wahrheits-Check unterzogen und danach für jedes Medium eine sogenannte „Falschbehauptungs-Quote“ errechnet. Rezo gibt an, er habe zahlreiche Medien von der FAZ bis zum Tagesspiegel, von der Bild bis zur Welt ausgewertet. Der FAZ wirft Rezo vor, in 67 Prozent der Artikel Falschmeldungen über ihn verbreitet zu haben. Seinen Angaben zufolge weist die Berliner Zeitung demnach bei Artikeln über Rezo eine Quote von 55 Prozent auf.

Wir waren über diese Quote sehr erstaunt und haben uns entschlossen, nachzuprüfen, wo wir möglicherweise Fehler gemacht haben. Denn grundsätzlich teilen wir das Anliegen Rezos, dass Medien sich sehr offen jeder Form von substantieller Kritik stellen sollen. Fehler bei Fakten, wenn sie gemacht wurden, müssen korrigiert werden.

Basis von Rezos Erhebung ist eine Excel-Datei, die auch kurz im Video zu sehen ist und alle 1788 Artikel enthält, die er zusammen mit einer Mitarbeiterin gesichtet hat. In ihr ist auch vermerkt, welche Artikel seiner Ansicht nach unzutreffend sind. Dazu gibt es jeweils eine kurze Begründung. Schon auf den ersten Blick auf die Excel-Tabelle fällt auf, wie wenige Texte der Berliner Zeitung Rezo überprüft hat. Es sind gerade mal 18. Ausweislich des für jedermann zugänglichen Genios-Pressearchivs erschienen zwischen dem 21. Mai 2019 und dem 7. Mai 2020 allein in Print 90 Artikel, in denen Rezo vorkam. Hinzu kommen jede Menge Stücke über ihn, die ausschließlich digital verbreitet wurden und von Genios nicht ausgewiesen werden. Weshalb der YouTuber insgesamt nur 18 Texte der Berliner Zeitung ausgewertet hat, ist unklar. Eine Anfrage dazu ließ er unbeantwortet. Daran, dass die nicht berücksichtigten Artikel samt und sonders irrelevant gewesen wären, kann es nicht liegen. Unter ihnen ist beispielsweise der am 24. Mai 2019 erschienene „Rezo-Check“, in dem der junge Mann mit dem blauen Haarschopf eine tragende Rolle spielt.

Von den 18 Texten die Rezo in seiner Excel-Tabelle berücksichtigt hat, sind wiederum sieben wegen angeblicher Irrelevanz durch den Rost gefallen. Unter ihnen ist beispielsweise ein langes Stück von Arno Widmann mit dem Titel „Meine Hoffnung ist Rezo“, in dessen Mittelpunkt – genau – Rezo steht. Weshalb er diesen Text als irrelevant im Sinne seiner Auswertung erachtet, bleibt sein Geheimnis.

Letztendlich hat Rezo also nur elf Texte der Berliner Zeitung in seiner Auswertung. Davon entsprechen fünf angeblich der Wahrheit, sechs sollen Fehler enthalten. Wegen gerade mal sechs vermeintlich fehlerhafter Texte von insgesamt über 100 Artikeln der Berliner Zeitung, in denen er namentlich genannt wird, kommt Rezo im Falle unseres Blattes auf eine „Falschbehauptungs-Quote“ von 55 Prozent. So richtig nachzuvollziehen ist das nicht.

Daher ist die erste Erkenntnis unseres Faktenchecks: Die von Rezo angegebene Fehlerquote ist falsch, weil er nur einen Bruchteil der Rezo-Artikel aus der Berliner Zeitung ausgewertet hat.

Es wird noch abwegiger, wenn man sich die „Fehler“ in den sechs beanstandeten Texten genauer anschaut.

Da ist etwa das Stück „Protest in Zeiten von Politik 4.0“ von Jörg Hunke vom 22. Mai 2019. In ihm stellt der Autor fest, dass Rezos CDU-Video drei Tage nach seiner Veröffentlichung bereits 1,9 Millionen Mal angeklickt worden sei. Dies sei „für den deutschen Markt … ein Höchstwert“. „Fehler“ schreibt Rezo dazu in seiner Excel-Tabelle. Es gäbe „eine Reihe von Videos“, die höhere Werte erreicht hätten. Das mag sein. Nur widerspricht dies nicht Hunkes Text. Er hatte „ein Höchstwert“ und nicht „der Höchstwert“ geschrieben, was ein gewaltiger Unterschied ist. „Ein Höchstwert“ bedeutet, dass es in dieser Kategorie noch andere Höchstwerte geben kann, auch solche die noch höher liegen. Wo die Kategorie „Höchstwert“ beginnt, ist auch in Bezug auf YouTube-Videos nirgendwo festgelegt. Hunke hier eine Falschbehauptung attestieren zu wollen, ist geradezu grotesk.

Höchst seltsam ist auch Rezos Bewertung eines Kommentars von Harry Nutt mit dem Titel „Wenn Jugend es krachen lässt“ vom 24. Mai 2019. Kommentare werden in der Excel-Datei mit dem Begriff „Meinung“ gekennzeichnet. Seltsamerweise hat Rezo Nutts klar als Kommentar erkennbares Stück als „Zusammenfassung“ charakterisiert. Das ist nicht unwichtig. So kann in einem Kommentar eine bestimmte Äußerung anders ausgelegt werden, als sie von ihrem Urheber intendiert war.

Genau das geschieht in dem Text – zumindest ein bisschen: Nutt findet, Rezo sei, obwohl der YouTuber das Gegenteil behauptet, mit seinem Video über die Christdemokraten „auf die Zerstörung der CDU“ aus gewesen. Zugleich relativiert der Feuilleton-Chef der Berliner Zeitung: „Das kann in diesem Fall als Sprachspiel aufgefasst werden.“ Rezo unterschlägt den relativierenden Nachsatz ebenso wie den Umstand, dass Nutts Text ein Kommentar ist und sieht eine Falschbehauptung, wo keine ist.

Nicht ganz so eindeutig liegen die Dinge beim Text „Schlumpf nervt die Politik“ von Jörg Hunke und Marina Kormbaki vom 23. Mai 2019. In ihm beziffern die Autoren die Zahl von Rezos damaligen Abonnenten auf 2,2 Millionen. Der YouTuber moniert, dass die „Abonnenten mehrerer“ von ihm betriebenen Accounts „zusammengezählt“ worden seien. Dabei sei nicht berücksichtigt worden, dass es auch Abonnenten gebe, die mehr als nur einen seiner Accounts abonniert hätten. Folglich stimme die Zahl 2,2 Millionen nicht.

Liegt hier eine Falschmeldung vor? Wohl eher unterschiedliche Betrachtungsweisen. Es ist im Mediengeschäft völlig unüblich bei der Betrachtung von Abo-Märkten – sei es im Pay-TV, im Berliner Zeitungsmarkt, bei Video-Streamingdiensten oder eben bei Rezos YouTube-Accounts – Mehrfach-Abonnements herauszurechnen. Insofern ist die Zählweise von Hunke und Kormbaki absolut in Ordnung.

Es ist aber nicht so, dass die Berliner Zeitung im Zusammenhang mit Rezo gar keine Fehler gemacht hätte. Recht hat der Webvideoproduzent, wenn er beanstandet, dass in einer kurzen dpa-Meldung vom 22. August 2019, die in der Berliner Zeitung unter dem Titel „Vorsitzender des DJV entschuldigt sich bei Rezo“ erschien, behauptet wird, der Chef des Deutschen Journalisten-Verbands habe bei dem YouTuber Abbitte „für seine Kritik an dessen jüngstem Video“ geleistet. Tatsächlich war Rezo nicht in einem selbst produzierten Video zu sehen gewesen, sondern in dem Video eines anderen YouTubers. Dass weiter unten im Text erwähnt wird, Rezo sei „als Gast beim YouTube-Kanal Space Frogs“ aufgetreten, wo er Zeitungen heftig kritisiert hatte, macht die Sache kaum besser.

Richtig schlecht sieht die Berliner Zeitung im Fall der Meldung „Rezo nach CDU-Video: ‚Ich bin nicht der Grund für die wenigen jungen Stimmen‘“ aus, die am 30. Mai ausschließlich in digitalen Medien erschien. In ihr wird behauptet, Rezo habe sich eineinhalb Wochen nach Erscheinen des CDU-Videos bei Twitter „erstmals öffentlich zu Wort gemeldet“. Das ist falsch. Er hatte zuvor bereits mehrfach Interviews gegeben – auch der Berliner Zeitung. Dass dieser Fehler durchrutschen konnte, ist rätselhaft. Vielleicht lag es daran, dass es sich bei dem Text um eine Übernahme aus dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ handelte. Die Berliner Zeitung wurde damals redaktionell von Unternehmen der DuMont Mediengruppe beliefert. Alle hier erwähnten Texte erschienen in der Zeit, in der DuMont Eigentümer der Berliner Zeitung war.

Und dann ist da noch der seltsame Fall des  Textes „Rezo legt nach“, der am 25. Mai in der Berliner Zeitung erschien. Es handelt sich um ein Stück der Nachrichtenagentur AFP, in dem es um mehr als 70 YouTuber geht, die ihrem Kollegen in der Auseinandersetzung um dessen CDU-Video zur Seite gesprungen waren. In dem Artikel wird eine Aussage von Rezos Mitstreitern paraphrasiert: „Die irreversible Zerstörung der Erde sei leider kein abstraktes Szenario, sondern das berechenbare Ergebnis der aktuellen Politik“, heißt es dort. In seiner Excel-Datei zitiert Rezo diesen Satz aber wie folgt: „Die irreversible Zerstörung der Erde sei leider kein abstraktes Szenario, sondern das berechenbare Ergebnis der aktuellen CDU“ – und notiert: „Fehler“.

Da der Link zu unserem Artikel in Rezos Excel-Tabelle nicht funktioniert, haben wir uns den Text in der gedruckten Ausgabe der Berliner Zeitung über die Solidaritätsaktion der YouTuber im Pressearchiv Genios besorgt. Dort steht, völlig korrekt, „der aktuellen Politik“ und nicht „der aktuellen CDU“ . Wir haben folglich in einer früheren Version dieses Stücks, Rezo in diesem Punkt einen Fehler unterstellt. Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wussten: Es gibt tatsächlich eine Online-Version des Textes, in dem statt des Begriffs „Politik“ das Kürzel „CDU“ steht. Hintergrund: 2019 wurden überregionale Politikthemen für die Online-Ausgabe der Berliner Zeitung noch von einer Redaktion der Dumont Mediengruppe in Köln produziert. Dort wurde aus nicht nachvollziehbaren Gründen das Wort „Politik“ in der AFP-Meldung durch die „CDU“ ersetzt. Zu erkennen ist dies an der Tatsache, dass der Kölner Stadtanzeiger diese Veränderung ebenfalls vorgenommen hat. Auch wenn die Redaktion der Berliner Zeitung daran keine unmittelbare Schuld trifft, ist dieser Vorgang hochnotpeinlich.

Rezo wollte zu seinen Berechnungsmethoden nicht Stellung beziehen. Sein Management von der Agentur ALL IN – Artist Management Gmbh, teilte uns mit, dass man eine Beantwortung unserer Fragen „aus zeitlichen Gründen leider absagen“ müsse.

Es wird spannend zu beobachten sein, wie Rezo mit den drei Fehlern umgehen wird, die ihm bei der Suche nach Falschbehauptungen in der Berliner Zeitung unterlaufen sind. Ein klärendes Wort ist eigentlich auch hinsichtlich seiner angreifbaren Methode fällig, bei der offenbar höchst willkürlich entschieden wurde, welche Texte für seine Erhebung relevant sind und welche nicht. 

Anmerkung: In einer früheren Fassung stand, dass die Excel-Tabelle nicht verlinkt war. Tatsächlich konnten wir sie zunächst nicht finden, deshalb besorgten wir sie auf anderem Wege.  Ein Leser wies uns daraufhin, dass sie unter dem Dokumentationslink zu finden sei. Ob die Tabelle dort von Anfang stand oder erst nachträglich eingefügt wurde, wissen wir nicht.