Rostock: Ausstellung erinnert an legendäre DDR-Zeitschrift „Sibylle“
Rostock - Junge Frau in Blau-Weiss-Rot. Die Trikolore-Mischung aus artig und kess brachte der Fotograf Günter Rössler aufs Titelblatt der Sibylle. Es war das Mai/Juni-Heft 1968 der sechsmal im Jahr erscheinenden DDR-Zeitschrift für Mode und Kultur.
Wenige Wochen später erstickten die Truppen des Warschauer Paktes den Prager Frühling. Das war – jedenfalls auf den ersten Blick – kein Inhalt für die seit 1956 erscheinende, zunächst vom Modeinstitut Berlin, später vom Verlag für die Frau verlegte und dauervergriffene „Ost-Vogue“ in einer reglementierten Auflage von 200.000 Exemplaren.
Die Sibylle war keine reine Frauen- oder Modezeitschrift. Vielmehr war der redaktionelle Anspruch immer auch, aktuelle gesellschaftlich-kulturelle Themen einzubringen: gut geschriebene Texte, tolle Bilder.
Sammlung der Hefte und Bild-Strecken der Fotografen
Dafür schauten die Macher gerade auch auf Frauen in den benachbarten Ländern, etwa in Prag und Bratislava. Nun, die Flagge der Tschechoslowakei war: Blau-Weiss-Rot, wie auf Rösslers Titelbild 1968. Zufall? Oder subtil subversiv.
Das Motiv ziert jetzt das zentrale Plakat der großen Rostocker Schau „Sibylle“. Anlass ist die Gründung der Zeitschrift vor 60 Jahren. Und im Blickpunkt stehen, neben einem chronologisch inszenierten Abriss der Hefte von der Nr. Eins bis zur finalen Ausgabe 1995, vor allem exemplarische kunstvolle Bild-Strecken von 13 Fotografen, die mit ihrem Stil, die Mannequins im Alltag auftreten zu lassen, Maßstäbe setzten.
Modells durften keine Hungerhaken sein
Diese Fotografen, das wird im oberen Ausstellungssaal der Kunsthalle Rostock überdeutlich, hatten sich Modelle gesucht, die schön, klug, natürlich und unbefangen waren. Diese Wesen, die essen durften, wie sie wollten, keine Hungerhaken sein mussten, paradierten (siehe nächste Seite) vor einer Gasometer-Ruine, saßen auf Café-Stühlen, standen an Bus-Stationen, am Ostseestrand zauste der Wind ihre Haare.
Das waren keine Alltagsfrauen bei der Schicht-Arbeit oder mit Einkaufsnetzen. Es umgab sie ein Schleier von Geheimnis, von Extravaganz. Fast so, wie berühmte Straßen- und Mode-Fotografen im Westen damals Style und Leben zu einen suchten.
„Zu französisch“ oder „sexistisch“?
Schelte „von oben“ gab es dafür auch: Wenn die Kleidchen „zu französisch“, die Röcke zu „sexistisch“ kurz waren oder ein ganzes Heft der Blue-Jeans-Mode huldigte. Solche Kapitalismus-Annäherung wurde eingestampft.
Als 1977 Maxie Wanders Buch „Guten Morgen, du Schöne“ erschien, in dem 19 Frauen von ihrer Lust auf Leben erzählen, war das wie eine Parallel-Aktion zu den Sibylle-Seiten, wie Ersatzöffentlichkeit: Frauen konnten sein, wie sie waren, mussten nicht funktionieren. Der Titel Sibylle war weniger Eitelkeit als Bekenntnis.
Abgebremste DDR-Träume
Sibylle Gerstner, Mutter der Schriftstellerin Daniela Dahn, gründete die Zeitschrift 1956; prägende Redakteurin war Dorothea Melis, letzte Chefredakteurin Susanne Stein. Vergleichsweise glamourös konterkarierte jede Ausgabe die biedere HO- und Konsum-Mode, lieferte internationalen Touch.
Aber: Was Frau da sah, gab es nirgendwo zu kaufen, da diese Mode „von Welt“ von den realen Möglichkeiten der sozialistischen Planwirtschaft oft ausgebremst wurde. So mussten die Sibylle-Schnittmusterbögen eben beim Selber-Schneidern helfen.
Alles das sind nun Geschichten und ist (DDR)-Geschichte, die in Rostock erzählt wird. Von einem Stoff, aus dem die Träume waren: