RTL-Dokumentation „Team Wallraff“: Unhaltbare Zustände in Pflegeheimen

Köln - Die RTL-Undercover-Reporter Pia Osterhaus (32) und Günter Wallraff (71) haben in der aktuellen "Team Wallraff"-Reportage am Montagabend unhaltbare Zustände in deutschen Pflegeheimen aufgedeckt und dokumentiert, wie Millionen von Euro für ambulante Pflege auf den Konten betrügerischer Pflegedienste versickern.

Günter Wallraff, getarnt als pflegebedürftiger Rentner, deckte auf, wie betrügerische Pflegedienste gezielt Anleitung zum vorsätzlichen Betrug geben und damit Pflegezuschüsse jährlich im dreistelligen Millionenbereich erschleichen. Entsprechende Pflegedienste bedienen sich dabei rüstiger Rentner, die Hartz IV empfangen und somit ohne Begutachtung durch den medizinischen Dienst amtliche Zuschüsse zur Pflege erhalten können.

Um das perfide System des Betrugs nachzuweisen, wird der Ausdauersportler Wallraff zum Rentner Waldemar B. Er gibt vor, russischer Herkunft zu sein, da dieser Betrug vorwiegend innerhalb größerer geschlossener muttersprachlicher Communities stattfindet. Die Koordination übernimmt seine angebliche Tochter, da der Vater nicht gewillt ist, mit "Fremden" zu sprechen. Der Berliner Pflegedienst "An der Urania", der hier stellvertretend für diverse weitere betrügerische Angebote steht, übernimmt die gesamte Abwicklung.

Ein perfides System des Betrugs

Es folgen Termine bei "Vertrauensärzten", die helfen sollen, aus dem gesunden Journalisten einen teuren Pflegefall zu machen. In diesem Fall sind es bis zu 1600 Euro monatlich, von denen ca. 25 Prozent als Beteiligung dem kooperierenden Kunden zukommen sollen. Damit Waldemar B. die entsprechenden Gutachten von der Krankenkasse und dem Sozialamt erhält, wird er jetzt vom Pflegedienst zu einem echten Pflegefall gemacht und darin unterrichtet, wie er sich als angeblicher Schlaganfallpatient zu verhalten hat. Günter Wallraff: "Dieses perfide System des Betrugs hat selbst mich überrascht. Es ist nahezu grotesk, wie dreist und routiniert die Betrüger hier vorgehen und wie die Ämter mit System ausgetrickst werden. Das sind mafiaähnliche Organisationen."

Aktuell sollen über 140 Anzeigen wegen solcher Betrugsfälle gegen verschiedene Pflegedienste allein bei der Staatsanwaltschaft Berlin Mitte vorliegen. Stephan van Dassel, Bezirksbürgermeister und -stadtrat für Soziales und Bürgerdienste in Berlin: "Das ist das im Moment das lukrativste Verbrechen, was man sich in Deutschland vorstellen kann. Das ist ein Verbrechensmarkt, der völlig risikofrei ist und dabei gewinnbringender als Drogenhandel."

Rund 2,5 Millionen pflegebedürftiger Menschen gibt es in Deutschland - Tendenz steigend. 30 Prozent davon sind in Altenheimen untergebracht. Für Undercover-Reporterin Pia Osterhaus ein Grund, sich in deutschen Altenpflegeheimen einmal genauer umzuschauen. Neun Monate lang hat sie sich in namhafte und besonders gut bewertete Pflegeheime eingeschleust. Als Praktikantin arbeitet sie unter anderem im Sankt Josef-Heim der Münchenstift GmbH. Eine gemeinnützige Tochtergesellschaft mit gutem Ruf, vom medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) mit der Note 1,0 bewertet. Ein Pflegeplatz kostet hier zwischen 2500 und 4000 Euro. Zum Zeitpunkt der Dreharbeiten kamen auf 2-3 Pfleger rund 40 Patienten. Damit ist oft nicht genug Zeit für die gesamte Morgenpflege, insbesondere schwieriger und dementer Patienten. Pflegbedürftige und einsame Menschen müssen hier im Akkord versorgt werden. Die Pfleger sind chronisch überfordert und unterbesetzt. Pia Osterhaus: "Ich hatte den Eindruck, dass hier oft nicht einmal Zeit für das Nötigste war."

Menschenunwürdige Zustände in Pflegeheimen

Die RTL-Reporterin findet eine 92-Jährige vor, die seit Stunden im durchnässten Bett sitzt, tägliches Duschen oder Baden ist nicht möglich. Die Nerven der Pfleger im Wettlauf gegen die Zeit werden gerade mit schwierigen Patienten oft auf die Probe gestellt. Pflegerin Jessica W. und weitere Kollegen entdecken bei solchen Bewohnern zum Teil blaue Flecken. Die Folge von blutverdünnenden Medikamenten oder womöglich grobe Behandlung?
Über mögliche Gewalt möchte mit Pia Osterhaus jedoch niemand sprechen. Jessica W. bedauert, dass oft gerichtsverwertbare Beweise fehlen. Schließlich ermittelt sogar die Polizei wegen eines Bewohners mit Brillenhämatomen. Kollegen hatten die Beschwerde des Patienten, der behauptete, geschlagen worden zu sein, weitergegeben. Laut Recherche der Undercover-Reporterin fanden jedoch entscheidende Untersuchungen, wie eine Computertomographie, nicht statt. Laut Auskunft der Einrichtung werden die Ermittlungen voraussichtlich eingestellt.
Über Wochen hatte Reporterin Osterhaus der Heimaufsicht in München anonyme Meldungen über die Missstände in dem Heim zukommen lassen - keine Reaktion. Generell weist das Haus alle Vorwürfe im Rahmen der angefragten Stellungnahme zurück.

In der anschließenden Stellungnahme weist auch die Heimaufsicht alle Kritikpunkte zurück und verweist bezüglich der hygienischen Mängel auf das Gesundheitsamt, das dazu informiert sei. Auch die Marseille Kliniken AG weist alle Vorwürfe von sich: "Die Information über einen angeblichen Norovirus-Ausbruch in unserer Einrichtung sind falsch. (...) Auch sind Ihre Informationen über bauliche und gesundheitsgefährdende Mängel im Haus unzutreffend."

"In diesem System sind alle Opfer. Pfleger müssen vor Überforderung geschützt werden und Pflegebedürftige vor überfordertem Personal", so das Fazit von Pia Osterhaus. "Der Beruf des Pflegers ist physisch und psychisch sehr anspruchsvoll. Ich habe großen Respekt davor, wie viele Pfleger, trotz schwerer Bedingungen, mit viel Herz, Geduld und Liebe ihren Job ausüben." (ail)