Sanierung in Berlin: Ausmessen in Neukölln
Die Tankanzeige meines treuen Zweirades hat die Dreiviertelmarke gerade erreicht. Damit komme ich noch nach Neukölln und zurück.
Mein erster Kunde – vor rund 20 Jahren – hat damals in diesen Bezirk investiert. Aus heutiger Sicht war das visionär. Neukölln kommt; das weiß mittlerweile auch jeder Investor. Mein Auftrag: Aufmaßarbeiten in einem Mehrfamilienhaus im Schillerkiez. Mein sympathischer Neukunde möchte Geld in Immobilien anlegen und da kommt ihm die Lage, in der direkten Nähe des Tempelhofer Feldes, sehr entgegen.
Der Hausmeister, selbst Mieter in dem Haus, wartet schon in der geöffneten Haustür. Er ist ein kommunikativer Grieche im Rentenalter und entschlossen, mich beim Aufmessen der Wohnungen zu unterstützen. Aus meinem Rucksack krame ich ein handliches Gerät heraus. Ein Laserdistanzmessgerät. „Disto“, stelle ich ihm meinen kleinen Helfer vor.
Meinem Begleiter fällt ein Stein vom Herzen, denn viele der Mieter, die er alle persönlich sehr gut zu kennen scheint, machen sich Sorgen, weil bei ihnen alles so voll gestellt ist, dass man mit dem Maßband gar nicht in die Ecken kommt.
Ich schnalle mir meinen roten Helfer an den Gürtel, den ich schon vor zwölf Jahren für ca. 400 Euro gekauft habe. Heute kostet ein solches Gerät nur noch ein Fünftel . Bald ist ein solches Tool wohl in jedem Smartphone eingebaut, scherze ich mit der Mieterin, nachdem sie mir freundlich die Tür zu ihrem Reich öffnet.
Die erste Frage der alleinstehenden Dame ist, ob sie denn in dem Haus wohnen bleiben kann, wo es doch seinen Besitzer gewechselt hat.
Das Piepen meines Lasers schafft eine kleine Ablenkung, und ich gewinne etwas Zeit, um über meine Antwort nachzudenken. Klar, das Haus wird aufgemessen und gezeichnet, um den Bestand festzustellen. Auf der Basis meiner Pläne werden dann neue Grundrisse in leeren Wohnungen geplant und gebaut, eine Fernwärmeheizung in das Haus installiert und die Rückfassade zum Hof wird gedämmt. „Dazu kann ich nichts sagen,“ beantworte ich die Frage ausweichend, „ich bin nur der Architekt, der ein Aufmaß vom Haus erstellt“.
Zwei Etagen höher werde ich von einem netten Pärchen bei einer Tasse grünem Tee mit der ganzen Wahrheit konfrontiert. Der Heizungseinbau, das Dämmen der Fassade und die neuen Fenster zum Hof sind Sanierungsmaßnahmen, die umlagefähig sind: „Wenn das alles gebaut wird, dann müssen wir ausziehen, weil sich die Miete immens steigert.“
Ich bin etwas irritiert. Die beiden machen auf mich einen ökologisch sehr interessierten Eindruck. Ich erwähne also die Dringlichkeit einer energetischen Sanierung des Hauses, die ich meinem Kunden als beratender Architekt natürlich empfohlen habe. Doch den gastfreundlichen Mietern scheint ihre Wohnsituation wichtiger zu sein als die globale Minimierung der CO2-Emissionen.
Den Schillerkiez können sich bald nur noch reiche Leute leisten, bekomme ich zu hören, und ich sei doch der Handlanger, der diese Situation fördert, wenn ich meine Kunden wie gewohnt berate.
Hoppla, da bin ich auf einmal zwischen die Fronten geraten. Ich will nur meinen Job gut machen und schon bin ich in politische und ethische Grundsatzfragen verstrickt. Ich bedanke mich höflich für den Tee und wende mich dem Aufmaß des Treppenhauses zu, für heute keine Mieter mehr!
Doch auch das Treppenhaus ist keine mieterfreie Zone. Ich treffe hier auf eine Berufskollegin, die früher in dem Haus gewohnt hat und nun Freunde besucht. Sie folgert aus meiner Anwesenheit, dass das Haus saniert wird. Draußen auf der Straße wartet sie zu meinem Erstaunen auf mich und drückt mir nach einem netten Erfahrungsaustausch ihre Visitenkarte in die Hand. Sollten sanierte Wohnungen vermietet oder verkauft werden, dann bitte sie um frühzeitige Information.
Da ist er dann doch, der Unterschied zwischen Zehlendorf und Neukölln. Hier im Kiez werden die guten Geschäfte noch immer auf der Straße gemacht.
Christoph Missall ist Architekt und Autor in Berlin, zuletzt erschien „Wegweiser durch den Baudschungel. Ihr Ratgeber Neubau“, Illustrationen von Nadia Budde.