Simon Rattle dirigierte Beethovens einziges Oratorium
Die Berliner Philharmoniker spielten "Christus am Ölberg" in ihrer bald 130jährigen Geschichte erst zum zweiten Mal. Das Stück hat in der Tat ein Problem - es liegt allerdings nicht in der Komposition.
Berlin-Natürlich ist das Beethoven-Jahr auch Anlass, unbekannte Werke des Komponisten „neu zu befragen“. Neben der erstaunlichen Zahl großartiger Würfe gibt es einige Fehlgriffe, die wohl mit der Entwicklung des bürgerlichen Musiklebens zusammenhängen. „Wellingtons Sieg“ etwa, eine Programmmusik mit Gewehrfeuer, war damals ein Riesenerfolg und gilt heute als peinliche Verirrung. Das einzige Oratorium „Christus am Ölberg“ dagegen hat sich nie großer Beliebtheit erfreut. Die Berliner Philharmoniker spielten es am Wochenende zum zweiten Mal in ihrer bald 130-jährigen Geschichte; die letzte Aufführung liegt ein halbes Jahrhundert zurück.

O Vater … sieh, wie Bangigkeit, wie Todesangst mein Herz zusammenschraubt! Ich leide sehr …
Wenn Simon Rattle sich der Partitur annimmt, dann mit der für ihn charakteristischen Energie und Liebe zum Detail. Der eigenartige Stilmischmasch aus Mozart, Haydn und Händel ist da zwar noch hörbar, aber auch, wie Beethoven diese Anklänge durchaus in die eigene Hand nimmt und formt. Das Problem dieses Werks ist weniger die Komposition an sich als die eigenartige Konzeption. Die Idee einer durchgreifenden Humanisierung des Gottessohnes durch die Darstellung als ängstlicher Mensch – „O Vater … sieh, wie Bangigkeit, wie Todesangst mein Herz zusammenschraubt! Ich leide sehr …“ – wirkt unergiebig.
Was sie im Hinblick auf die Deutung des Passionsgeschehens leisten kann, wird nicht entfaltet, bleibt in den expressiven Klischees virtuosen Ariengesangs stecken, deren Zumutungen sich Benjamin Bruns als Jesus und Iwona Sobotka als tröstender Seraph mit eindrucksvoller Kraft stellen. In einigen Momenten aber wird beleuchtet, was Beethoven an dieser Geschichte interessiert hat: In einer Chorszene, in der sich „Krieger“ und Jünger begegnen, ist der flamboyante Ausdruck der entscheidenden „Fidelio“-Szene zu hören, in der sich Leonore zwischen Pizarro und Florestan wirft. Es ist dasselbe lodernde Dur, das den Endkampf des Bösen mit dem Guten darstellt. Rattle zeigt die Bedeutung des Oratoriums für das Gesamtwerk – das ist viel.
Wurden die Engel erlöst?
Dass der weitere Verlauf Beethoven nicht mehr interessiert hat, zeigt der Schlusschor, der Mozarts Händel-Reminiszenzen seinerseits reminisziert – also Händel aus dritter Hand bietet. Beethoven schließt die Sache effektvoll, aber nicht befriedigend ab. Der Text fordert die Engel zum Preisen des Gottessohnes auf, aber warum? Wurden die Engel erlöst? Das Konzert wurde eröffnet mit dem Oboenkonzert von Richard Strauss, ein Idyll aus dem Jahr 1945, unendlich rührend in seinem unzeitgemäßen Mozart-Ton und von Rattle und den klein besetzten Philharmonikern mit fragiler Transparenz gespielt, in der die großen Strauss-Bögen nurmehr gebrochen aufscheinen. Jonathan Kelly passte mit feinem Ton in diese introvertierte Darstellung gut hinein – auch wenn das Stück größere Kontraste und schärfere Charakteristik durchaus vertragen hätte.