So war das Immergut Festival 2014: Mit Charme gegen den Kommerz

Ein Festival macht eigentlich nur in wenigen Momenten so richtig Spaß. Das wäre zum einen die Zeit, die man auf dem Campingplatz in ausgelassener Runde mit Freunden verbringt. Und zum anderen der Moment, wenn man seine Lieblingsband in erster Reihe erlebt und den Schweiß des Sängers riechen kann.

Alles andere – die unmenschlichen Dixi-Klos, die kalten Nächte im Schlafsack (und anschließend das aufgeheizte Zelt in der Mittagssonne inklusive Kreislaufproblemen), die überteuerten Getränke und die (un)-hygienischen Zustände – all das wirft ab und an die Frage auf, warum man sich diese Quälerei eigentlich noch antut (ab einem gewissen Alter).

Bewusst nicht kommerziell

Trotzdem: Das Immergut Festival in Neustrelitz hält die Qual, welche solche mehrtägigen Open-Air-Veranstaltungen mit sich bringen, sehr gering. Das liegt vor allem an der überschaubaren Besucherzahl. Seit Jahren werden nur 5000 Tickets vergeben, damit ist das Festival immer ausverkauft. Ein weiterer positiver Aspekt sind die kurzen Wege, die man zwischen Auto und Zelt und zwischen Zelt und Festivalgelände zurücklegen muss. Im Vergleich zu den Massenaufläufen beim Southside (60.000 Besucher) oder Hurricane (73.000 Besucher) springt einem auch nicht ständig penetrant Sponsorenwerbung von großen Getränkeherstellern ins Gesicht.

Die Atmosphäre zwischen den Wäldern ist einmalig. In der Nähe finden sich mehrere Seen, die die Festivalbesucher zur Abkühlung nutzen können. Und das Campen auf dem Gelände ist angenehm, vor allem auch deshalb, weil die ganz Frühen sogar neben ihrem Auto zelten können - praktisch, wenn man Tisch, Stühle und Grill dabei hat.

Die ehrenamtlichen Organisatoren des Immergut, die das kleine Festival seit 2000 bewusst anti-kommerziell aufziehen, machen anscheinend alles richtig, denn die Atmosphäre zwischen den Wäldern von Neustrelitz inmitten der Natur ist unaufgeregt und gerade deshalb so erholsam.

Auf dem Line-Up finden sich zwar keine großen Namen (obwohl diese Definition zugegebenermaßen sehr subjektiv ist), dafür aber unbekanntere, internationale Acts, die es zu sehen lohnt. Da wäre zum Beispiel das äußerst sympathische Duo Wye Oak aus Baltimore, bestehend aus Schlagzeuger Andy Stack und Sängerin/Gitarristin Jenn Wasner, die am Freitagabend in der Zeltbühne ihren Folk-Country-Charme versprühten und mit ihrem Hit „Civilian“ auch dem desinteressierten An-der-Seite-Steher eine Gänsehaut in den Nacken hauchten. Übrigens: Der Song wurde unter anderem so bekannt, weil er in der Zombie-Serie "The Walking Dead" zu hören war.

Kein stumpfer Punkrock

Eine komplett gegensätzliche Stimmung erzeugte dann wenig später auf der selben Bühne die US-Band Cloud Nothings um Frontmann Dylan Baldi, der aber kein typisches Frontmann-Gehabe an den Tag legt. Er agiert kaum mit dem Publikum, bedankt sich ab und an für die tolle Stimmung und lebt ansonsten in seiner eigenen Welt. Mit seinen Mitmusikern spielte Baldi treibenden Noise-Punkrock, ohne je in stumpfes Gegröle zu verfallen. Übrigens: Auf Platte klingt das Ganze auch richtig super. Und die Musikvideos der Band sind allein optisch ein Hingucker. Empfehlenswert! Eine weitere tolle Band am Freitagabend waren Hundreds, die beim Immergut keine Neulinge sind. Das Geschwisterpaar aus Hamburg erschafft mit elektronischen Popklängen eine nahezu perfekte, melancholische Festivalatmosphäre, die zu den besonderen Momenten bei solchen Draußen-Veranstaltungen gehört.

Am Sonnabend gönnten sich viele Besucher erstmal eine Ruhephase, genossen ein kaltes Bier und lauschten am Nachmittag vor der Bühne sitzend zum Beispiel Felix Scharlau, der aus seinem Buch „Fünfhunderteins – Ein DJ auf Autopilot“ vorlas und die Zuhörer mit auf eine Reise in die schwäbische Provinz ins Jahr 1991 nahm, wo sein Protagonist DJ Moonshine den Weltrekord im Dauer-Auflegen brechen will. Amüsant, aber jetzt bitte wieder Livemusik und Ekstase!

Feuerwerk mit FM Belfast

Apropos Ekstase: Diesen Zustand erreichten viele Festivalbesucher bei Future Islands, deren Sänger Samuel T. Herring seine Songs auf der Bühne regelrecht durchleidet, mit tiefer Inbrunst singt und bereits nach wenigen Sekunden nassgeschwitzt ist. Herring agiert mit dem Publikum, reicht ihnen seine Hand und tänzelt von der einen zur anderen Seite, während er seinen Über-Hit "Seasons" performt. (Der Auftritt der Band bei US-Talkmaster David Letterman wurde bei Youtube fast zwei Millionen Mal angeklickt!) Der Rest der Band wirkt dabei nur als schmückendes Beiwerk, das die Instrumente bedienen muss - aber das ist wohl auch das Konzept der Band, die mit ihrem Synth-Pop die 80er Jahre heraufbeschwört. Für viele Musikfreunde das Highlight des Immergut.

Kurz zuvor hatten Girls In Hawaii – sechs Boys aus Belgien – auf der großen Waldbühne angenehm zurückhaltenden Gitarrenpop gespielt. Allerdings harmonierte die Band so gut zusammen, das am Ende auch hier ordentlich abgerockt wurde, heißt: der Schlagzeuger steht auf und animiert das Publikum, der Sänger schreit in das als Mikrofon umgewandelte alte Telefon. Das Sprichwort "Viele Köche verderben den Brei" traf hier keinesfalls zu. Ein schöner Anblick.

Nach den Bands Slut und Die!Die!Die! endete der Sonnabend auf der großen Bühne mit den Isländern FM Belfast und ihrer festivaloptimierten Mischung aus hyperaktivem Electro-Pop und 80er-Jahre-Hits-Einspielern in einem musikalischen Gute-Laune-Feuerwerk. Auch wenn man die Namen der Bandmitglieder nicht aussprechen kann, wissen die Hipster genau, wie sie das deutsche Publikum zum Ausrasten bringen. "We are running down the street in our underwear" - so ähnlich fühlte sich auch das Konzert auf dem Immergut an.

Ausgepowert von so viel isländischer Energie verschlug es einige Besucher bereits ins kuschlige Zelt. Wer sich aber noch nicht in seinen Schlafsack zurückziehen wollte, konnte bis in die frühen Sonntagmorgenstunden seinen Rausch bei der Immergut-Disko mit mehreren DJs ausleben. Zwei Tage Festival in Neustrelitz - ein musikalisches Highlight für jeden, der auf kleine, gemütliche Open-Air-Events steht, und ein toller Auftakt für den restlichen Festivalsommer 2014! Weiter so.

www.immergutrocken.de