Start der international gefeierten RTL-Serie: Warum Deutschland ’83 gar nicht floppen kann

Letztlich ist die Geschichte schon durch, bevor RTL die erste Folge von „Deutschland ’83“ überhaupt gezeigt hat. Denn dank einer Vorveröffentlichung auf dem US-Sender Sundance TV und der damit verbundenen internationalen Aufmerksamkeit, kann die Serie bei der deutschen Erstausstrahlung gar nicht mehr floppen. Vielleicht werden die Quoten nicht so gut sein wie erhofft, das könnte passieren. Denn zuletzt funktionierten Serien beim Stammpublikum des Senders nicht besonders gut. Dann aber, so kann man jetzt schon sagen, wäre der ausbleibende Erfolg nicht der Serie anzulasten, sondern dem Senderumfeld. Hunderttausende Amerikaner können sich schließlich nicht irren. Oder etwa doch?

Zunächst einmal haben die Wingers, also die amerikanische Autorin Anna Winger und der deutsche Produzent Jörg Winger, eine wirkliche Gute-Laune-Serie gemacht. Man darf gleich zu Beginn der Geschichte, im Grenzgebiet zwischen Ost und West, auch lachen! Diese Lust an der Leichtigkeit allein ist schon bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass die achtziger Jahre in beiden Teilen Deutschlands in Wahrheit sehr angstbesetzt und zukunftsunsicher waren.

Im Jahr vor George Orwells „1984“ fürchteten wir uns in Westdeutschland vor dem Waldsterben und der Volkszählung, deren Fragebögen in diesem Jahr ausgeteilt wurden. Die neue „Schwulenseuche“ Aids kam ins Bewusstsein und das Ende der Welt schien angesichts der atomaren Bedrohung zum Greifen nah.

In der DDR war man gerade an einer staatlichen Zahlungsunfähigkeit vorbeigekommen. Es fehlte an vielem – vor allem an einer der Zukunft zugewandten sozialistischen Perspektive. Der Kalte Krieg mit seinen atomwaffenfähigen Mittelstreckenraketen war aus europäischer Sicht ein Selbstmordkommando. Kann man aus so einer düsteren Gemengelage eine Unterhaltungsserie machen? Man kann.

Im Zentrum von „Deutschland ’83“ steht ein junger NVA-Soldat, der sich zu einem Himmelfahrtskommando verpflichten lässt, um seiner nierenkranken Mutter einen Platz auf der Transplantationsliste der Charité zu sichern. Jonas Nay spielt ihn wunderbar jungenhaft und naiv, wie durch Zauberhand wird er zum wichtigsten Friedenssicherer im deutsch-deutschen Raketenplanspiel.

Mit Maria Schrader und Sylvester Groth wird die Spitzeltruppe des MfS eher mondän als menschenverachtend repräsentiert. Gleichwohl haben die Autoren die historische Dramatik nicht verschwiegen: Nebenfiguren werden in den Tod getrieben, das System ist unübersehbar stärker als der Einzelne.

So weit, so realistisch. Aber die Serie will nicht so angstbesetzt sein wie das Jahrzehnt, auf das es sich bezieht. Vielmehr sprechen Edward Berger und sein Regieteam mit ihrer poppigen Inszenierung ein universelles jugendliches Lebensgefühl an, das für die Nachwende-Generation von Jonas Nay (Jahrgang 1990) Alltag und für die Babyboomer eine geschönte Projektion der eigenen Adoleszenz ist.

Ein Museum für Alltagskultur

Und so ist in „Deutschland ’83“ ganz genrekonform dann doch der Einzelne stärker als das System. Gebremst und zugleich angetrieben wird Martin, der Spion wider Willen, nicht von politischen Haltungen oder existentieller Furcht, sondern von dem individuellen Ziel, seiner Familie zu helfen.

Dieses Motiv ist sehr amerikanisch und ziemlich zeitgenössisch, aber total untypisch für das Lebensgefühl der Martins ihrer Zeit. Denn aufgrund der Blockbildung war Politik in Ost und Welt eine breit aufgestellte Jugendprotestbewegung. Die Figur, die Jonas Nay spielt, soll Jahrgang 1959 sein. So alt also wie Giovanni di Lorenzo, der Talkshowmoderator und Zeit-Chefredakteur. So alt wie der SPD-Politiker Sigmar Gabriel. So alt wie Nico Hofmann, einer der beiden Produzenten von „Deutschland ’83“. Oder auch so alt wie der Schauspieler Ulrich Noethen, der in der Serie den Bundeswehrgeneral Edel spielt.

Mit ihm soll der Jungspion Martin auf eine Nato-Konferenz reisen. Dort gilt es, wichtige Unterlagen zu stehlen, um die Welt zu retten und die Niere zu kriegen. Blöderweise haben sich die Ostler, technisch erheblich zurück hinter dem kapitalistischen Weststandard, auf Papierdokumente vorbereitet. Das stundenlang geübte Abfotografieren mit der Minikamera hilft Martin aber nicht: Der Amerikaner transportiert sein geistiges Eigentum schon auf einer Floppydisk.

Sehr elegant werden die Dinge der Zeit in die Handlung eingefügt. Das Puma-T-Shirt, der Sony-Walkman, der Mc-Burger, die ganze Ausstattung von „Deutschland ’83“ ist auch ein Museum für Alltagskultur – internationaler Alltagskultur, versteht sich. Denn die Achtziger waren in Westdeutschland auch das erste Jahrzehnt, das die Moden und Wellen der USA mit Begeisterung adaptierte. Nicht zuletzt das macht „Deutschland ’83“ international so anschlussfähig.

Unsere Autorin ist Leiterin der Abteilung Audiovisuelles Erbe in der Deutschen Kinemathek am Potsdamer Platz.