Streit um Dreadlocks: Schlimmer als der Konzert-Abbruch ist die Empörung darüber
Über den Vorfall in Bern regen sich vor allem weiße Menschen auf. Es geht ihnen um die Macht zu entscheiden, was andere als rassistisch empfinden dürfen.

In Bern hat die Veranstalterin ein Konzert abgebrochen, weil sich das Publikum mit den Rastalocken der weißen Bandmitglieder von Lauwarm unwohl fühlte. Laut Berichten trugen die Musiker außerdem afrikanische Kleidung und spielten Reggae-Musik. Der Vorwurf gegen sie: kulturelle Aneignung.
Locs waren verpönt, solange sie schwarze Rastafaris trugen. Schon allein der Name „Dreadlocks“ kommt von „Dreadful“, zu Deutsch „furchtbar, angsteinflößend“. Heutzutage häkeln sich weiße Menschen bereits gefilzte Verlängerungen an ihre Haare, färben sie bunt, hängen Schmuck hinein und erleben nur selten Diskriminierung deswegen. Das sei ihnen meinetwegen gegönnt.
Andere schwarze Menschen verletzt die Tatsache, verständlicherweise, wie ich finde, dass Weiße nach jahrzehntelanger Abwertung nun selbst Locs tragen – und auf andere dadurch nicht angsteinflößend oder furchtbar wirken. Das ist einfach ungerecht. Deshalb prangern sie das Aussehen der Musiker als kulturelle Aneignung an. Die Veranstalterin entschuldigte sich in einer Stellungnahme für Sensibilisierungslücken ihrerseits.
Die Diskussion um Lauwarm erinnert an die um Ronja Maltzahn
Die Musiker von Lauwarm können nichts dafür, dass gesellschaftliche Strukturen rassistisch sind und sie es einfacher haben, weil sie weiß sind. Dass sie ihren Auftritt abbrechen mussten, war also ebenfalls ungerecht. Aber nicht wirklich empörend.
Empörend ist an dem Vorfall in Bern vor allem die Empörung weißer Menschen. Wie bereits nach der Absage von Fridays for Future an die Musikerin Ronja Maltzahn, die ebenfalls weiß ist und Locs trägt, sind die sozialen Medien voll mit wütenden Kommentaren. Zahlreiche Medien berichten. Wohlgemerkt über die Absage eines Konzertes in Bern von einer bis dahin eher unbekannten Band, deren Songs vor dem Vorfall nur ein paar Tausend Aufrufe bei Spotify und YouTube hatten.
Es geht dabei in Wirklichkeit gar nicht um Frisuren oder Musik oder gar um künstlerische Freiheit. Es geht nicht darum, zwei Männer zu verteidigen, die Locs tragen wollen. Es geht um Macht. Die Macht zu entscheiden, was andere als rassistisch empfinden dürfen. Um den Satz: Also, dass ist doch nun wirklich kein Rassismus! Weiße Menschen sind es gewohnt, die Deutungshoheit zu haben und wollen reflexartig die Strukturen aufrechterhalten.
Techno wurde von schwarzen Musikern erfunden
Gerade Musik lebt vom Austausch, Genres entwickeln sich dadurch weiter. Trotzdem war es historisch immer wieder so, dass schwarze Menschen Musik gemacht haben, weiße Musiker sie kopierten und viel größere Erfolge erzielten.
Viele Menschen wissen nicht, dass Elvis Presley Rock nicht erfunden hat. Das waren schwarze Musiker. Oder dass Techno zuerst von schwarzen Musikern aus Detroit gespielt wurde. Die weiße US-Band Soja gewann in der Vergangenheit immer wieder Grammys für das beste Reggae-Album. Gute Musiker, keine Frage, aber sie verdienen vermutlich mehr als die meisten jamaikanischen Bands, die in dem Genre einfach authentischer sind.
Auch dafür können die weißen Musiker nichts. Ihr Erfolg ist auf rassistische Strukturen, aber natürlich auch auf ihr Können zurückzuführen. Ein Hinweis auf die bestehende Ungerechtigkeit oder kulturelle Aneignung sollte nicht automatisch zu Absagen oder gar Konzertabbrüchen führen. Viel sinnvoller wäre es, aus diesen Momenten zu lernen – und mehr schwarze Talente zu fördern.
Es ist einerseits grundsätzlich gut, dass wir über kulturelle Aneignung diskutieren. Im Gespräch ist es möglich, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, wie ein respektvoller Umgang mit anderen Kulturen aussehen könnte. Andererseits besteht die Gefahr, dass Rassismus als Ursache für das Problem aus dem Fokus geraten könnte, wenn wir uns in Diskussionen über Frisuren und abgesagte Auftritte verzetteln.