Streit um Yad Vashem: Wie weit geht die Nationalisierung der Erinnerung?
Ein Rechtsextremer als Vorstand der größten Holocaust-Gedenkstätte der Welt? Klingt nach einem Paralleluniversum. Doch es steht längst alles auf dem Kopf.

Jason Langley/Imago
Jerusalem-Yad Vashem in Jerusalem, die „Welt-Gedenkstätte des Holocaust“, soll in Zukunft – so wollen es Benjamin Netanjahu und das zuständige „Senior Appointment Committee“ – von Effi Eitam geleitet werden, einem rechtsextremen Politiker und vormaligen Brigadegeneral. Eitams militärische Karriere gipfelte in der Bekämpfung der palästinensischen Intifada. Vier seiner Soldaten schlugen damals auf seinen Befehl einen palästinensischen Gefangenen zu Tode und wurden – immerhin – verurteilt. Eitam kam mit einer Maßregelung davon und wurde nicht mehr befördert.
Eitam zog in die Politik, wo er als Knesset-Mitglied immer wieder mit rassistischen Äußerungen auffiel, etwa Palästinenser als Krebsgeschwür bezeichnete, ihre Vertreibung aus dem Westjordanland forderte und verlangte, arabischen Israelis das Wahlrecht zu entziehen. Seine geplante Ernennung als Yad-Vashem-Leiter hat weltweit Proteste ausgelöst: von Überlebenden des Holocaust genauso wie seitens Wissenschaftlern, Gedenkstätten, Archiven und Jüdischen Museen. Schließlich ist Yad Vashem auch eine wissenschaftliche Institution und eines der bedeutendsten Archive der Welt. Soll es künftig Spielball nationalistischer Politik und der ausdrücklichen Unterdrückung von Minderheiten sein?
Missbrauch der Erinnerung ist kein israelisches Problem
In dem Konflikt werden nun jene Widersprüche offenbar, die schon lange bestehen, nicht nur in Israel. Gedenkstätten sind und waren oft Spielball nationalistischer Politik. Ob in Polen, wo in Auschwitz jahrzehntelang das polnische Leiden als Jesus unter den Völkern zelebriert wurde und jüdische Opfer als polnische gezählt wurden. Oder etwa in Buchenwald, wo das „wahre“ Deutschland, befreit von Faschismus und Kapitalismus, sich unter die Völker der Welt einreihen sollte, deren Erlösung demnach im Kommunismus bestand.
Ob in der „Zentralen Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“, wo eine aufgeblasene Kopie einer „Pieta“ von Käthe Kollwitz seit 1993 alle jüdischen und anderen Opfer der Massenvernichtung unter die anonymen gefallenen Soldaten vereinnahmt, und damit zu Opfern eines ebenso anonymen Bösen erklärt. Aber eben auch in Yad Vashem, das nicht nur universellen Anspruch als Welt-Gedenkstätte erhebt, sondern zugleich alle Opfer des Holocaust einem nationalistischen Narrativ einverleibt. Als „Gedenkstätte für die Märtyrer und Helden des Staates Israel im Holocaust“ erklärt Yad Vashem (einem israelischen Gesetz folgend) die Toten posthum zu israelischen Staatsbürgern. Mein Großvater würde sich im Grabe umdrehen (wenn er denn jemals ein Grab bekommen hätte).

Der Weg durch das vor 15 Jahren neu eröffnete Museum endet architektonisch nicht mit einer Geste traumatischen Überlebens, sondern auf einem herrschaftlichen Balkon, mit triumphalem Blick über das Land. Auch auf jenen Hügel, auf dem einst das palästinensische Dorf Deir Yassin stand, dessen Bewohner von rechten Milizen 1948 unter dem Befehl von Menachem Begin massakriert wurden. Schon 1988 fasste Yehuda Elkana den inneren Widerspruch jedes Holocaustgedenkens in die einprägsame Formel: Es gibt zwei widerstreitende Imperative, die zu gänzlich verschiedenen Konsequenzen führen: „Das soll nie wieder geschehen“ – oder: „Das soll UNS nie wieder geschehen“.
Der Streit offenbart einen innerisraelischen Konflikt
Zugleich offenbart sich im Konflikt um Eitam das Dilemma des israelischen Staates, der zugleich Demokratie und jüdischer Staat sein will. Yad Vashem als „nationale Gedenkstätte“ will beides sein, ein Manifest gegen Rassismus und die Unterdrückung von Minderheiten und eine Institution der Herstellung jüdisch-israelischer Identität, die arabisch-israelische Staatsbürger symbolisch ausschließt.
Schließlich offenbart sich im Streit um Yad Vashem auch ein wachsender Widerspruch zwischen Juden in der Diaspora und dem israelischen Staat, der Juden gegen ihren Willen vereinnahmt – ob tot oder lebendig – und sie gegen die arabische Bevölkerung Israels und gegen die Palästinenser ausspielt. Ein Streit, der inzwischen gar die Besetzung führender Positionen in zionistischen Organisationen erfasst; Entscheidungen, die die israelische Regierung zur alleinigen Angelegenheit ihres Koalitionsdeals erklärt hat, anstatt sie wie bisher mit jüdischen Organisationen in der Diaspora abzustimmen.
Wenn es nun über die Besetzung des Vorstands von Yad Vashem zu einem Koalitionsstreit zwischen Bibi Netanjahu und Benny Gantz kommt, dann nicht weil Gantz grundlegende Probleme damit hätte, Yad Vashem als Ort nationalistischer Gehirnwäsche zu missbrauchen, sondern, weil auch innerhalb Israels gerade wieder eine Reihe von Top-Posten zu besetzen sind. Netanjahu braucht in der Justiz Leute in führenden Positionen, die ihm seinen drohenden Prozess ersparen. Der für Yad Vashem zuständige Minister Zeev Elkin, der eisern an Eitam festhält, hat indessen den Gipfel zynischer Verlogenheit erklommen: Er hoffe, so sagte er der israelischen Tageszeitung Haaretz, dass „Yad Vashem nicht Geisel in einem politischen Spiel wird. Es gibt Dinge, die stehen über der Politik.”