„Subvertising“: Diese Kunst entlarvt die Versprechen der Werbeindustrie

Der britische Künstler Darren Cullen provoziert mit seiner politischen Kunst zwischen Streetart und Fake-Werbung. Im Bethanien kann man sie sehen.

Der Subvertising-Künstler Darren Cullen
Der Subvertising-Künstler Darren CullenAndrea Araya

Laut Darren Cullen, bildender Künstler und Kurator der Werbepause-Ausstellung im Kunstraum Kreuzberg aka Bethanien, sind seine Werke wie Werbung. Für ihn teilt die Standard-Werbung eine gemeinsame Botschaft: Das Leben ist toll, deins aber nicht. „Wir müssen über Werbung reden“, sagt er. „Es wird uns ohne Einverständnis angetan. Wir sollen alle widersprechen können.“ Das macht Darren sehr gerne. Und ist dabei clever, politisch, vor allem aber provokant. So sollte man Darren Cullen – auch als Spelling Mistakes Cost Lives bekannt – beschreiben. Man könnte ihm auch vorwerfen, ein Internet-Troll zu sein, der in die reale Welt ausgebrochen ist.

Auch wenn man keines seiner Werke vorher gesehen hat, kommt einem diese Kunst sehr bekannt vor. Das ist kein Versehen, sondern durchaus beabsichtigt. Der britische Künstler macht wenig Neues, aber alles ist originell. Das liegt vor allem an der Form: dem sogenannten Subvertising. Als Kunstbewegung fing das in den 60er-Jahren mit der Billboard Liberation Front an und hat sich später mit The Yes Men weiterentwickelt.

Subvertising, ein Amalgam aus den Begriffen „Subversion“ und „Advertising“, verwandelt bekannte Markennamen. Ergebnisse sind etwa ein Action Man mit Kriegsverletzungen und PTSD, ein halluzinierender Nesquik-Hase oder das Shell-Logo mit der Aufschrift „Hell“. Mit dieser letzten Provokation hat Cullen die Grenze fast überschritten. Er bekam einen Brief des Anwalts des Ölgroßkonzerns. Ein Rechtsstreit hätte ihn damals fast plattgemacht. Er fragte beim Konzern nach: „Gehört ‚Hell‘ denn auch zu ‚Shell‘?“ Dies sei sinnvoll. Immerhin wollten beide brennende Erde. Screenshots der Unterhaltung zwischen Künstler und Konzern gingen viral. Shell hat letztlich nicht geantwortet.

Cullen: „Die Werbeindustrie ist wie ein Staubsauger“

Ohne diesen Humor würde seine Kunst wohl didaktisch wirken. Den besitzt Cullen aber im Überfluss. Er lächelt: Eins seiner ersten Opfer sei die Royal Navy gewesen, die britische Kriegsmarine. „Werde Selbstmordattentäter“, so strahlt einen das Plakat an, das auf die selbstzerstörerische Kraft von U-Boot-Atombomben hinweist. Inzwischen hat die Navy eine Kopie seines Plakats für ihr Museum gekauft. Früher haben Kollegen der Special Patrol Group diese Plakate illegal in Bushaltestellen installiert. „Das war das Sahnehäubchen“, grinst Cullen.

Im nordenglischen Leeds aufgewachsen, wurde Cullen in seiner Uni-Zeit in Glasgow von dem Chomsky-Dokumentarfilm „Manufacturing Consent“ politisiert. Es war die Zeit der antikapitalistischen Antiglobalisierung. No Logo und Naomi Klein waren global bekannte Namen. Dennoch sind viele seiner Kunst-Kommilitonen von damals später in die Marketingbranche eingestiegen.

„Die Werbeindustrie ist wie ein Staubsauger, der das kreative Talent einsaugt und es in Müll transformiert“, sagt er. Zum Glück hätte er selbst so etwas nie machen müssen, um sein tägliches Brot zu verdienen. Cullen war nach der Uni als Musiker tätig. In den Nullerjahren dann als Schlagzeugspieler bei der damals bekannten Indieband Shitdisco. Nach unserem Gespräch macht er sich auf den Weg zum Glastonbury-Festival. Wo er einst als Musiker auftrat, ist er heute als antikapitalistischer Künstler eingeladen.

Arbeitslosengeld und Häuser besetzen

Wie hat er nach dem Zusammenbruch seiner Band überlebt? Es war wohl nicht einfach, Geld zu verdienen, ohne seine Seele der Werbeindustrie zu verkaufen. „Arbeitslosengeld und Hausbesetzung“, antwortet er knapp, sein drahtiges Haar fällt über die Augen. Anarchisch war er schon immer. Er wohnte etwa mal in einer ehemaligen Toilettenfabrik in London. In der Stadt lebt er heute immer noch – direkt neben dem Museum des Neoliberalismus.

In der Ausstellung im Bethanien geht es jetzt nicht nur darum, Kunst darzustellen. Mit Subvertising-Infoblättern und DIY-Werkzeugen will Cullen auch anderen beibringen, zu widersprechen. Dazu zeigt er hier ein provokantes Kinderspiel, ein Tischfußball-Diorama im Westjordanland, das „Occupation“ (Besatzung) heißt. Etwas so Kleines überhaupt als ambitioniertes Kunstwerk zu beschreiben, wirkt übertrieben. Trotzdem ist es äußerst detailliert und provokant – inklusive Mauer rund um den Fußballplatz. „Ich bin ein Berliner“ steht als Graffiti darauf.

Inspiriert ist das Werk von Gesprächen mit palästinensischen Fußballspielern. Cullen weiß um die deutsche Empfindlichkeit gegenüber Israel und Palästina. Daher hat er eine CCTV-Kamera an der Decke installiert, um Vandalen zu beobachten und sein Werk zu schützen. Für einem Subvertiser irgendwie ein bisschen ironisch.

Bei Werbung hat man keine richtige Wahl

Cullens Kunst ist teils auch von seinem britischen Hintergrund geprägt, etwa durch ein Schild, auf dem „Glaub nicht alles, was dir von Milliardären erzählt wurde“ steht, geschrieben in den Logos der berüchtigten britischen Boulevardpresse. Zu der Ausstellung gehören auch Botschaften deutscher und internationaler Künstler. Etwa eine gefälschte Ausgabe des Magazins Der Spiegel, das hier nun „Der Pimmel“ heißt. Oder einen Augenklappe fürs rechte Auge Horst Seehofers mit dem Satz: „Die einfache Lösung gegen Rechtsextremismus. Von Heimat-Horst empfohlen.“ Im Bethanien ist sogar eine gestohlene Ströer-Werbefläche von dem Berliner Straßenkunst-Kollektiv Rocco and his Brothers zu sehen. Die Botschaft, ruft zwinkernd RAF-Assoziationen auf: „Seit sechs Tagen Gefangene der R.A.H.B.“

Seine Kunst in dieser Ausstellung zu platzieren, sei etwas schwierig, gibt Cullen zu. Lieber würde er sie draußen sehen, neben echten Werbeplakaten. „Hier weiß man eben, dass es nicht wahr ist.“ Draußen seien die Reaktionen anders. Cullen war Teil der Dismaland-Ausstellung der Straßenkunstlegende Banksy und hat dort sein „Taschengeldkredit für Kinder“-Projekt gezeigt – eine Satire über die wachsende Kredithai-Industrie in Großbritannien. Aber nur auf den Straßen ärmerer Kleinstädte hat er die gewünschte Reaktion bekommen. Leute schauten ihn verwirrt an und baten, so was nicht zu machen. Trotzdem sagt er: „Mit der Kunst können Leute zumindest wählen, was sie anschauen und mögen. Bei der Werbung hat man keine Wahl.“

„Werbepause – The Art of Subvertising“, noch bis 21. August zu sehen im Kunstraum Kreuzberg. Mehr Info unter: www.kunstraumkreuzberg.de