Suhrkamp-Verlag: In Wahrheit eine Barockoper

Berlin - Jahrzehntelang pilgerten einmal im Jahr die deutschen Literaturkritiker an einem Abend während der Frankfurter Buchmesse in die in der Nähe des Holzhausenparks gelegene Klettenbergstraße. Dort stand und steht immer noch das Privathaus der Familie Unseld. Ein massiger, geräumiger, quadratischer Bau, mit einem kleinen Eingang und einem schmalen Zugang. Er zeigte an, dass der Besitzer Geld hatte, viel Geld, aber auch, dass er keinen Wert auf Theater, aufs Exaltierte legte. Wenn etwas, dann sollte hier Solidität demonstriert werden. Kennern erscheint so etwas natürlich immer gleich besonders verdächtig.

Die Villa, um die es heute geht, steht in Berlin-Nikolassee, eine Gründerzeitkomposition mit Türmchen und Erker, vor allem aber mit einem mehrere Stockwerke hohen Raum, der Ende des 19. Jahrhunderts den Rittersaal einer mittelalterlichen Burg imitierte. Tinnef hätte man so etwas vor fünfzig Jahren genannt.

Schon als es erbaut wurde, war es nichts als Prätention. Ulla Unseld-Berkéwicz, die Witwe des Verlegers Sigfried Unseld, hat dieses Haus für sich privat gekauft. Wer zu ihr möchte, muss einen kleinen Hügel ersteigen. Wenn sie oben steht und empfängt, dann macht sie gleich klar, wer das Sagen hat. Die Dame des Hauses als Feldherrin. Das Exaltierte ist hier Programm.

Lebensstil immer pompöser

Zur Prätention gehört, dass man so tut, als ob – dass man sich etwas leistet, das man sich nicht leisten kann. Der Bauherr wollte einen Rittersaal, ohne sich eine Burg leisten zu können. Ulla Unseld-Berkéwicz wollte die Imitation eines Rittersaales, ohne sie sich leisten zu können. Also vermietete die Privatperson Unseld-Berkéwicz unter anderem den Pseudo-Rittersaal an den ihr zu 61 Prozent gehörenden Suhrkamp-Verlag. Ohne Hans Barlach zu befragen, den Eigentümer der restlichen 39 Prozent.

Dieser klagte gegen die Verschwendung der Verlagsmittel für den immer pompöseren Lebensstils der ehemaligen Schauspielerin Ulla Unseld-Berkéwicz. Das Gericht gab dem Kläger Hans Barlach recht. Die Geschäftsführung des Suhrkamp-Verlages – Ulla Unseld-Berkéwicz, Thomas Sparr und Jonathan Landgrebe – muss nun 282 486,14 Euro zahlen. Sie haben mit ihrer Absegnung der Vermischung zwischen privatem und geschäftlichem Bereich den Suhrkamp-Verlag geschädigt. Juristen erklären einem, dieses Urteil sei völlig eindeutig. Eine Sache, die in zwei Minuten zu entscheiden sei. Vielleicht sollte sich Ulla Unseld-Berkéwicz einen anderen Anwalt nehmen.

Schon als die Villa mit dem Pseudorittersaal noch gar nicht erworben war, schrieb der in Frankfurt am Main lebende Kulturtheoretiker Hans-Jürgen Heinrichs mit dem ihm eigenen genauen psychoethnologischen Blick über Ulla Unseld-Berkéwicz: „Zu ihrer Freude an der Performance, ihrem schauspielerischen und dramaturgischen Talent, zu ihren geistigen und realen Expansionswünschen passt es, dass sie ihre Agitationsräume erweitert, mondialisiert.“

Die Suhrkamp-Chefin hat eine Schwäche fürs Mondäne, für das Preziös-Unverständliche, für elegant auftretenden Tiefsinn. Ihr Geschäftsführer Thomas Sparr hingegen ist jemand, bei dem noch niemand auf die Idee gekommen ist, er könnte die Bücher verstehen, die er verlegt. Ein Gespann, das allein schon Stoff für ein hübsches Dramolett wäre.

Das Wort von der Hexe

Seit 2006 aber wird große Oper gespielt. Damals verkaufte der Schweizer Unternehmer Hans Reinhart die Suhrkamp-Anteile, die seine Familie seit mehr als fünfzig Jahren hielt, an Hans Barlach und seinen Kompagnon Claus Grossner. Für gerade mal acht Millionen Euro, hieß es. Ulla Unseld-Berkéwicz zweifelte die Rechtmäßigkeit dieses Ankaufes an. Invektiven von beiden Seiten begleiteten diesen Rechtsstreit, der zugunsten Barlachs entschieden wurde. Barlach und Grossner erklärten Ulla Unseld-Berkéwicz für unfähig, sie selbst würden ab 2007 Einfluss auf das Programm des Verlages nehmen, um Suhrkamp zu retten.

Damals war im Drama noch Joachim Unseld. Der Sohn Siegfried Unselds war von seinem Vater aus dem Verlag vertrieben worden. Dahinter soll die böse Stiefmutter gesteckt haben. Das Wort von der Hexe machte die Runde. Seit dem Tod Unselds im Jahr 2002 hatte Ulla Unseld-Berkéwicz den Verlag geleitet. Das deutsche Märchen mitten in der Bastion der bundesrepublikanischen Aufklärung! Ende 2009 gab Joachim Unseld, inzwischen Chef der von ihm übernommenen Frankfurter Verlagsanstalt, seine zwanzig Prozent ab. Diese wurden auf die anderen Anteilseigner aufgeteilt.

Seit drei Jahren also stehen sich 61 Prozent (Ulla Unseld-Berkéwicz) und 39 Prozent (Hans Barlach) gegenüber. Barlach reicht eine Klage nach der anderen wegen Veruntreuung und Kompetenzüberschreitung ein. Die andere Seite antwortet mit einstweiligen Verfügungen. Barlach wird verboten, von Veruntreuung zu sprechen.

Völlig vergaloppiert

Was wir hier sehen und was mein Unvermögen gar zu sehr ins deutsche Lustspiel abgleiten lässt, ist in Wahrheit eine Barockoper. Es geht um Großes und Größtes. An Maschinen wird nicht gespart, und als Chor steht fast die gesamte bundesrepublikanische Nachkriegsliteratur zur Verfügung.

Aber auch wer keine Ahnung hat, erkennt den barocken Charakter der Aufführung an den dem Laien unerträglichen Da-capo-Arien. Hans und Ulla stehen auf der riesigen Bühne, unter, neben, über ihnen alles zwischen Theodor W. Adorno und Peter Weiß, also Thomas Bernhard, Paul Celan, Hermann Hesse – nein, nein, nein, nicht anfangen mit der Aufzählung, sie nähme kein Ende – und singen wieder und wieder die gleichen wenigen Sätze.

Ulla umschmeichelt das Publikum, wirft ihm stolze Blicke zu und singt dann, sich von dem neben ihr stehenden Partner abwendend, mit einem umwerfenden den ganzen großen Saal ausfüllenden Mezzo: „Wir werden mit diesen Leuten nichts zu tun haben.“ Dann wirft sie den Kopf mit den schwarzen Haaren zurück. Das Orchester zeigt, was es kann – sie sammelt sich, tritt wieder vor, öffnet den großen Mund und singt leise wie hinein ins Ohr eines jeden Zuschauers ihr: „Wir werden mit diesen Leuten nichts zu tun haben.“ Wir mögen diesen Auftritt. Wir sind gespannt auf die dritte Variante.

Hans dagegen sitzt in einem Sessel in seiner 700 Quadratmeter großen Villa im Hamburger Stadtteil Winterhude und gibt mit Zigarre und Cognac-Glas den baritonalen Bescheidwisser: „Diese Frau kann es nicht, hat sich völlig vergaloppiert.“ Das wiederholt er. Mal lässig. Dann steht er auf und ruft es empört, so, als sage er es zum ersten oder doch zum letzten Mal: „Diese Frau kann es nicht, hat sich völlig vergaloppiert.“

Seit 2006 versucht Hans, Ulla zu kippen. Es ist offensichtlich: Er mag sie nicht. In jeder Oper würde dieser Hass nur aufgebaut, um am Ende umzuschlagen in Liebe. Das werden wir in der Wirklichkeit des Jahres 2013 wohl nicht erleben.

Auflage sinkt, Erträge steigen

Hans Barlach ist ein findiger Geselle. Er versteht, Geld zu machen. Womit, ist für Laien schwer herauszufinden. Er hat keinen Verlag aufgebaut, keinen Gemüsehandel, nicht einmal eine kleine Waffenfabrik. Er kauft sich ein: Zum Beispiel 1999 bei der Hamburger Morgenpost, die Auflage sinkt, die Erträge steigen, dann kauft er die restlichen Anteile auf und verkauft ein Jahr später das ganze Blatt weiter an einen, der dergleichen im großen Stil betrieb, an David Montgomery, dem auch einmal die Berliner Zeitung gehörte.

Zwei Jahre bevor Hans Barlach bei Suhrkamp einstieg, hatte er von Gruner+Jahr die Zeitschrift TV-Today gekauft. Noch im selben Jahr stellte sich heraus, dass er das Geld dafür vom Burda-Verlag bekommen hatte, dem er TV-Today 2005 weiterverkaufte. Das ist die Art von Geschäften, in denen sich Barlach bisher – so weit man weiß – bewährte.

Man kann Ulla Unseld-Berkéwicz unsympathisch finden, die Geschäftsführer unfähig. Man kann aber nicht sagen, Suhrkamp mache ein schlechtes Programm. Ein Blick in den gerade vorliegenden Frühjahrskatalog für 2013 führt bei mir zu dem Reflex: Lesen! Lesen! Lesen! Allein in der Belletristik 16 Titel!

Oder blicken wir auf den Deutschen Buchpreis 2012. Es gab sechs Finalisten. Drei davon kamen aus dem Suhrkamp-Verlag. Besser geht es nicht. Es sei denn Ursula Krechel, die Preisträgerin, wäre noch immer bei Suhrkamp gewesen. Keiner der von Hans Barlach gern ins Feld geführten Alternativen zu den derzeitigen Suhrkamp-Chefs hat auf diesem Schauplatz ein besseres Ergebnis zu bieten. Auch nicht der verehrungswürdige Alexander Fest, Leiter des Rowohlt Verlages.

Im September 2012 meldete der Focus, Hans Barlach wolle im Jahr 2012 in die Geschäftsführung des Verlages eintreten. Die Mehrheitsgesellschafterin des Suhrkamp-Verlages, die Ulla unserer Oper, konterte prompt, der Gesellschaftsvertrag stelle doch bestimmte Anforderungen, und sie habe „erhebliche Bedenken, ob Herr Barlach über die persönlichen und fachlichen Kompetenzen verfügt, in die Geschäftsführung eintreten zu können“.

Hans Barlach wollte 2012 nicht allein in die Geschäftsführung des Suhrkamp-Verlages eintreten. Er wollte noch Josef Depenbrock mitbringen. Der ist Lesern der Berliner Zeitung kein Unbekannter. Er war deren Chefredakteur, Geschäftsführer und Anteilseigner in Personalunion. Depenbrock war auch klug genug, seine Anteile an David Montgomerys Firma Mecom – wir bewegen uns immer im selben Sumpf – zu verkaufen, kurz bevor sie in tiefste Tiefen sanken.

Ein freundlicher, jovialer Feind allen „intellektuellen Geschwätzes“, war Josef Depenbrock schon mit der Berliner Zeitung weit über seine Grenzen hinaus belastet gewesen. Wer ihn zum Geschäftsführer von Suhrkamp macht, der will Suhrkamp umbringen. Depenbrock war schon 2006 oder war es Anfang 2007 durch die Flure der Berliner Zeitung gerannt und hatte jedem, der es hören wollte, erklärt, er werde demnächst Geschäftsführer des Suhrkamp-Verlages.

Daraus wurde erst einmal nichts. Depenbrock ist seit 2007 – also schon neben seiner Arbeit als Chefredakteur der Berliner Zeitung, Geschäftsführer des Berliner Verlages und Vorsitzender der BV Deutschen Zeitungsholding – stolzer Herausgeber der Quartalszeitschrift „Azur – das Kreuzfahrtmagazin“.

Sieg oder Niederlage

Auch Depenbrock gehört zur großen Oper. Allerdings in die heute kaum noch zu sehenden, weil nicht mehr erhaltenen Zwischenakte. Das sind die Szenen, in denen hübsche Tänzerinnen von wilden Faunen gejagt werden oder Buffos und Soubretten zeigen, dass das ganz Große sich im ganz Kleinen spiegelt. Manchmal erkennt man, worum es geht, erst in diesen Miniaturisierungen.

Oben geht es um Gesellschafterverträge und Geschäftsgebaren, um Paragrafen, um Würde und Ehre. Da werden ganze Anwaltskanzleien ge- und verbraucht. Unten aber herrscht aufwandsfreie Klarheit. Da geht es um nichts als ums Jagen und Kriegen, um Sieg oder Niederlage.

Einige deutsche Autoren haben endlich erklärt, dass sie bei einer Geschäftsführung durch Barlach und Konsorten ihre Verträge kündigen würden. Darauf habe ich lange gewartet. Bei allem Verständnis für die, die mit Ulla Unseld-Berkéwicz nicht arbeiten wollten – Hans Barlach ist noch einmal eine ganz andere Kategorie.

Allerdings könnte es sein, dass Barlach in seiner Villa, die er, daran muss zu seiner Ehre erinnert werden, nicht an Suhrkamp – wenigstens nicht an Suhrkamp! – untervermietet hat, sich ins Fäustchen lacht und Viktoria ruft. Es wäre ja – wenn man davon ausgeht, dass er macht, was er kann – immerhin denkbar, dass er dankend auf lebende Autoren verzichtet, auf all das Ungemach und das Risiko, das mit ihnen verbunden ist, und versucht, sich die Backlist unter den Nagel zu reißen und die schnellstmöglich weiterverkauft.

Die psychedelische Farbästhetik der Edition Suhrkamp erinnert uns daran, wie weit wir uns entfernt haben von der großen Zeit des Verlages. Jede Nostalgie in diese Richtung verbietet sich. Aber das ist kein Grund, jenen, die beim Zeitungsschlachten schon ihren Reibach machten, jetzt auch noch den Suhrkamp-Verlag zu überreichen, damit sie den auch schmatzend verzehren können.