Surrealismus : Das extravagante Tarotdeck von Salvador Dalí
Lange Zeit waren die Tarotkarten vom Meister des Surrealismus vergriffen. Nun sind sie wieder im Handel erhältlich.

BerlinDass Salvador Dalí, Meister des Surrealismus, ein exzentrischer Geselle war, weiß man nicht zuletzt seit 1969, als er mit einem Ameisenbär an der Leine und Gehstock aus der Pariser Metro kam.
Den gebürtigen Katalanen interessierten Mystizismus, Traum und Rausch – all das, was sich jenseits des alltäglichen Bewusstseins abspielt. Es ist also kaum verwunderlich, dass Dalí sich in den 70er-Jahren dem Tarot zuwandte, jenem Satz von 78 Spielkarten, die meist zur Lebensdeutung, Selbsterkenntnis und Divination genutzt werden. Denn Tarot lebt vom Symbolismus, den auch der Surrealismus maßgeblich aufgriff.

Das Tarot-Deck, das aus einer großen und einer kleinen Arkana besteht, führt nummerierte Karten wie „Der Narr“, „Die Hohepriesterin“ und „Der König der Stäbe“.
Eine herrliche Spielwiese für Dalí. Prompt schuf er sein beeindruckendes „Tarot Universal Dalí“, das als Rarität lange vergriffen war und nun wieder erhältlich ist (Taschen, 50 Euro). Dafür bediente sich der Meister bei den unterschiedlichsten Motiven der gesamten europäischen Kunstgeschichte.

An eigensinniger Selbstinszenierung mangelte es Dalí nicht. Karte Nummer eins zeigt ihn als Magier samt charakteristisch gezwirbeltem Schnurrbart, vor ihm ein Tisch mit Gegenständen, die seine bekanntesten Gemälde zitieren: die zerfließenden Uhren symbolisieren die eigene Lebenszeit, Brot und Wein stehen für die Rolle des Menschen im göttlichen Schöpfungsprozess. Die Eins repräsentiert die Gestaltungskraft jedes einzelnen Menschen und seines persönlichen Lebensweges.

Die Sechs, die Liebenden, zeigt prominent das bekannteste Symbol des Unterbewusstseins, den Schmetterling, hier die Intimregionen des Adams verdeckend. Dalí spielt mit den Motiven des Paradieses, zitiert hier aber auch Jan Gossaerts Kunstwerk „Neptun und Amphitrite“.
Tritt diese Karte beim Legen auf, ist man angehalten, sich mit dem Thema Liebe in seinem Leben auseinanderzusetzen. Welche dunklen Wolken muss man durchwandern, um als Liebende den mit einem Engel ausgehangenen Höhepunkt zu erreichen?

Dalís Frau und Muse Gala tritt hier als Herrscherin in Erscheinung, wobei er sie nach Vorlage der heiligen Helena stilisiert, der Mutter Konstantins des Großen. Sinnbildlich steht sie für die Kraft der Weiblichkeit, hält sie doch mit großer Inbrunst den Zepter und einen Reichsapfel.
Eugène Delacroix’ Gemälde „Griechenland auf den Ruinen von Missolonghi sterbend“ dient ihm als Blaupause. Eine Ermutigung, das Glück und die Herrschaft über die eigene Existenz in die Hand zu nehmen.

Für die „Zehn der Schwerter“ bedient sich der Künstler bei Vincenzo Camuccinis „Die Ermordung des Julius Caesars“ von 1805. Die Schwerter stehen generell für Geistesgegenwart und Intellektualität.
In diesem Fall aber enden sie in Gewalt und Zerstörung und dem hinterhältigen Angriff auf den Kaiser. Der Bucherklärung zufolge sei die Karte aber auch als generelle Warnung zu verstehen, davor, dass „kultivierte und gebildete Menschen niederen Instinkten folgen“. Klingt zeitgemäß.

Achja, der Tod, der große Gleichmacher. Dabei muss diese Karte, die Dalís ewiges Spiel mit dem einem weit in der Ferne gelegenen Fluchtpunkt widerspiegelt, gar nicht unbedingt das Endes des eigenen Lebens prophezeien. Sie kann auch für das Ende eines Prozesses stehen, sowohl freudiger als auch schwieriger Natur.
Dalí behilft sich des gängigen Vanitas-Symbols Totenkopf, fügt aber auch lebens- und liebesbejahende Objekte ein, wie eine blühende Rose, eine (auch sonst wo oft gemalte) Zypresse und eine im Himmel schwebende Schwalbe. „Man kann tot sein, lange bevor man stirbt, und leben, lange nachdem man gestorben ist“, heißt es im Buch.