Gedenken an 20. Juli: Fehler im Umgang mit Hitler bei Putin vermeiden

Swetlana Tichanowskaja warnt beim Gedenken an den 20. Juli vor Appeasement gegenüber dem Kreml und erinnert wie Robert Habeck an den deutschen Widerstand.

Am 20. Juli wurden zu Gedenken der Attentäter des 20. Juli 1944 Kränze niedergelegt.
Am 20. Juli wurden zu Gedenken der Attentäter des 20. Juli 1944 Kränze niedergelegt.dpa/Christoph Soeder

Bei fast 40 Grad wurde am Mittwoch, dem 20. Juli in der Gedenkstätte Plötzensee der Offiziere um Claus Graf Schenk von Stauffenberg gedacht sowie jener Widerständlerinnen und Widerständler, die in losen Netzwerken den Attentatsversuch ermöglicht hatten. Darunter waren Sozialdemokraten, aus ihrem Glauben Handelnde, Konservative, Gewerkschaftler und auch Kommunisten. Zu der jährlichen Gedenkveranstaltung und Kranzniederlegung waren trotz der extremen Hitze zahlreiche Gäste erschienen. Zwischendurch suchten sie immer wieder Schatten an den Mauern der Gedenkstätte, innerhalb derer im Laufe der NS-Diktatur beinahe 3000 Menschen hingerichtet wurden.

Vor genau 78 Jahren versuchte Stauffenberg mit einigen Mitverschworenen, Adolf Hitler bei einer Lagebesprechung im Führerhauptquartier, der „Wolfsschanze“, mit einer Kofferbombe zu töten – bekanntlich überlebte Hitler die Detonation. Die meisten Beteiligten wurden gefasst und einige von ihnen, darunter auch Stauffenberg selbst, noch in der Nacht zum 21. Juli 1944 im Hof des Bendlerblocks erschossen. Bis Mai 1945 wurden 110 Hinrichtungen im Zusammenhang mit dem Attentat durchgeführt, viele der Familien wurden in Sippenhaft genommen, Kinder in Heimen interniert.

Was waren die Beweggründe der Widerständler?

Bis heute wird über den konservativen militärischen Widerstand debattiert. Hartnäckig hält sich die Ansicht, dass die ranghohen Militärs im letzten Moment angesichts der nicht mehr abzuwendenden militärischen Niederlage Nazideutschlands und der nahenden Truppen der Alliierten ihre Haut retten wollten. Etliche hatten aber bereits im Zusammenhang mit der Sudetenkrise, also 1938, innerlich mit Hitler gebrochen und waren zu Verschworenen geworden. Waren diese Männer zumindest teilweise selbst Antisemiten und hatten vor allem nationale Interessen im Sinn? Schließlich waren sie Hitler zunächst gefolgt, in die NSDAP eingetreten. Andererseits machten viele von ihnen sogar vor dem für seine martialischen Urteile bekannten Nazi-Richter Roland Freisler nicht nationale Interessen, sondern die Verbrechen der Deutschen an den Jüdinnen und Juden als Beweggründe für ihren Umsturzversuch geltend.

Die Rede des Wirtschaftsministers Robert Habeck (Grüne) musste am Mittwoch aufgrund seiner Corona-Erkrankung in Abwesenheit verlesen werden. Viele der Widerständler, so hieß es in Habecks Rede, hätten die Stärke aufgebracht, ihre ideologische Verblendung abzulegen. Gerade weil Stauffenberg und andere Mitglieder des militärischen Widerstands zunächst dem Nationalsozialismus folgten, weil sie „Jedermänner des Deutschlands ihrer Zeit“ waren, seien ihre Tat und der Weg dorthin so bemerkenswert. Habeck erinnerte aber auch an die „stillen Helden“ der NS-Zeit. Gemeint waren damit vor allem Menschen aus dem sogenannten Rettungswiderstand, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten – und unter Lebensgefahr – jüdische Verfolgte unterstützt und versteckt hatten.

Tichanowskaja: „Es hat Monate gedauert, bis die europäischen Demokratien Zähne zeigten“

Dann sprach die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja. Die Bürgerrechtlerin war 2020 nach ihrer Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen in Belarus in das Nachbarland Litauen ausgereist, nach Angaben einer Wahlkampfmitarbeiterin wurde sie von den Behörden dazu gezwungen, das Land zu verlassen. Ihr Mann, Sergej Tichanowski, wurde im Dezember 2021 zu 18 Jahren Haft verurteilt. Amnesty International hält die Vorwürfe gegen ihn (Vorbereitung und Organisation von Massenaufständen) für vorgeschoben, stuft Tichanowski als politischen Gefangenen ein und fordert seine Freilassung. Habeck sprach Tichanowskaja am Mittwoch seine Anerkennung dafür aus, „ihr eigenes Leben zu riskieren, um die Herrschaft des Unrechts und der Unmenschlichkeit zu beenden oder ihr zumindest etwas entgegenzusetzen“.

Die belarussische Bürgerrechtlerin selbst zeigte sich Deutschland gegenüber dankbar für das Engagement für die Demokratiebewegung in Belarus: „Ihr habt euch geweigert, das illegitime Regime anzuerkennen. Ihr habt belarussische Flüchtlinge innerhalb eurer Grenzen willkommen geheißen.“ Nun gebe es aber mehr zu tun: Am energischsten hob die Bürgerrechtlerin, die zuletzt mit dem Aachener Karlspreis ausgezeichnet wurde, hervor, dass Deutschland sich entschiedener im Ukraine-Konflikt engagieren müsse. Man dürfe außerdem die Fehler, die bei Hitler gemacht wurden, nicht wiederholen und Putin keine territorialen Zugeständnisse zu Zwecken des vermeintlichen Friedenserhalts machen. „Diktaturen gedeihen, wenn Demokratien nicht aufpassen“, sagte die belarussische Bürgerrechtlerin. Genau das sei aber im Ukraine-Krieg geschehen. „Es hat Monate gedauert, bis die europäischen Demokratien Zähne zeigten.“

Blick auf widerständige Traditionen kann wegweisend sein

Tichanowskaja betonte, wie wichtig „kleine, Mut erfordernden Handlungen “ unter autoritären Regimen seien, die oftmals kleinen, auch unbekannten Handlungen der „stillen Heldinnen und Helden“. Letzteres wirkte wie eine Antwort auf den Redebeitrag von Robert Habeck. Sie zeigte sich inspiriert von jungen Widerständlerinnen und Widerständlern unter den Nazis, wie etwa Lina Berkowitz, die mit gerade einmal 19 Jahren hingerichtet wurde. Oder Elisabeth von Thadden, die an ihrer Mädchenschule auch zu NS-Zeiten weiter Jüdinnen unterrichtete. Unter anderem dafür wurde von Thadden 1944 wegen angeblichen Hochverrats zum Tode verurteilt.

In einer Welt, die immer stärker von Autoritarismus geprägt ist, von Diktaturen und Terror, aber auch von Populismus und Radikalisierung in den demokratischen Ländern, kann der Blick auf widerständige Traditionen inspirierend und wegweisend sein. Oder auch existenziell entscheidend, wie im Fall der belarussischen Oppositionsbewegung. Und so verabschiedete sich Svetlana Tichanowskaja mit dem kurzen, kraftvollen „Shiwe Belarus“, es lebe Belarus.