Tagesthemen und heute : Wie Fernsehnachrichten mit Schwarzmalerei Zuschauer binden

Berlin - Es wird böse enden. Mit diesem Spruch auf den Lippen schlawinerte sich Werner Enke als schlaffer, brotloser Bohemien Martin 1968 durch den Film „Zur Sache Schätzchen“. Es wird böse enden. Er grinste dabei, denn es war ironisch gemeint, er persiflierte die Mahnungen der Elterngeneration, die so das sorglose Dahintreiben der Jugend begrantelten.

Heute ist Sorglosigkeit Mangelware. Es wird böse enden – das hat sich als Gewissheit durchgesetzt. Kein Tag, an dem uns nicht die Plagen aufgezählt werden, die die Zukunft bereithält. Die Speerspitze des großen Unkens nehmen die „Tagesthemen“ und das „heute journal“ ein. Nehmen wir nur den vergangenen Mittwoch.

In den „Tagesthemen“ wurden wir nach Haßloch entführt, ein 20.000-Seelen-Dorf in Rheinland-Pfalz, das unter Meinungsforschern viel zählt, weil es so ungewöhnlich gewöhnlich ist. Haßloch entspricht soziologisch gesehen in überraschend vielen Punkten dem deutschen Durchschnitt.

Es wird böse enden

Deshalb wird Haßloch in der Konsumforschung als Testmarkt eingesetzt; dort gibt es Dinge zu kaufen, die im Rest Deutschlands noch gar nicht in den Regalen stehen. Und was sagt der Haßlocher so, als die ARD ihm zur deutschen Zukunft befragt? Klar: Es wird böse enden.

Das „Tagesthemen“-Feature zeigte beispielsweise einen alten Mann, der einen Ponyhof für Kinder betreibt. Das lief viele Jahre blendend, jetzt aber sitzen die Kinder lieber vor dem Computer als auf den Tieren zu reiten. So erklärt sich jedenfalls der Alte die Arbeitslosigkeit seiner süßen Tiere, und die „Tagesthemen“ lassen das so stehen, als sei er ihr Chefkommentator.

Der 86-Jährige kramt in Andenken aus den Fünfzigerjahren, lauter Medaillen und Ehrenzeichen, und erzählt, wie er, nach dem Krieg aus Posen geflohen, sich um seine neue Heimat im Westen bemüht habe.

Damals hätte es noch ein Wir gegeben, ohne Zusammenhalt hätte man den Wiederaufbau Deutschlands ja niemals geschafft, man habe sich eben integrieren müssen. Heute aber, so der Alte, sei die Gesellschaft vom Auseinanderfallen bedroht.

Es verändert sich was

Nun erzählte man sich allerdings schon in den Fünfzigerjahren genau dasselbe, nämlich dass jeder nur noch an sich denke, während unmittelbar nach Kriegsende noch alle zusammengehalten hätten. Aber macht nichts, nun kommt eine 68-jährige Rentnerin ins Bild, die ebenfalls das Gefühl hat, Deutschland zerbröckele.

„Die Reise geht auseinander“, das fühle sie genau. Was immer das heißen mag, den „Tagesthemen“ leuchtet es fraglos ein. Es wird zwar auch ein Haßlocher ins Bild gebracht, der sich auf die Zukunft freut. Der aber ist bloß ein Informatiker, der noch dazu an der Entwicklung eines elektroangetriebenen Skateboards arbeitet, man sieht ihn damit halsbrecherisch über eine Sandpiste brausen.

„Ob jeder mit diesem Tempo mithalten kann?“, fragt die Autorin besorgt aus dem Off. Sicher nicht. Zum Schluss des Beitrags heißt es: „Den Menschen geht es einigermaßen gut. Doch sie alle fürchten – oder spüren: Es verändert sich was. Das Wir driftet langsam auseinander“.

Uns geht es so gut wie noch nie

Dann schaut Ingo Zamperoni einen Moment gekonnt gedankenversunken auf den Monitor, um dann aufzublicken und sich treuherzig mit dem nächsten Thema an den Zuschauer zu wenden, der Menschenrechtslage in Deutschland. Klar, auch die ist besorgniserregend.

So geht das Abend für Abend. Eine Schwarzmalerei gibt der nächsten den Stab der Depression in die Hand. Rente – daran glaubt doch fast keiner mehr. Die Mittelschicht – wird bald ins immer tiefer klaffende Loch zwischen Arm und Reich fallen. Die Pflegeversicherung – wird nicht mal für einen kaltherzigen Roboter reichen.

Komisch nur, dass der Dax soeben das Jahresrekordhoch erreicht hat. Dessen Höchststand wird kommentarlos zum Schluss der Sendung gemeldet. Natürlich hat diese schwarze Magie Korrespondenzen in der öffentlichen Meinung. Uns geht es zwar so gut wie noch nie, hört man fast überall, aber lang kann das nicht mehr so bleiben.

Die Stimmung sinkt

Eine satte Mehrheit der Deutschen blickt nach Meinungsumfragen mit Angst in die Zukunft. Die Jugend ist zwar optimistischer, aber ihr wird von oben erfolgreich eingeimpft, dass bald Schluss sei mit lustig.

Auch bei ihr sinkt die Stimmung, obwohl die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland mit 6,9 Prozent die geringste in Europa ist. Gegenüber einer horriblen Quote von 46,5 Prozent in Griechenland und einem europäischen Durchschnitt von 18,9 Prozent sind das traumhafte Werte, die das eigene Glück tatsächlich unglaublich erscheinen lassen.

Die harten wirtschaftlichen Fakten des deutschen Wohlstands erscheinen uns als Wolkenkucksheim, die von der bloß gefühlten Misere an Triftigkeit übertroffen wird. Vom Postfaktischen werden eben nicht nur AFD-Anhänger angekränkelt. Seit zehn Jahren geht die Arbeitslosenquote in Deutschland kontinuierlich zurück, im gleichen Maß aber sinkt die Stimmung.

„Kommen Sie gut durch die Nacht!“

Die Deutschen fühlen sich auf dem Gipfel des Glücks, das macht sie jetzt schon traurig. Wer so weit oben ist, dem scheint nur noch der Abstieg gewiss. Natürlich gibt es Gründe, skeptisch in die Zukunft zu blicken und sich mit den Grenzen des Wachstums zu beschäftigen.

Aber die erneut sich ausbreitende German Angst hat nichts mit einem kritischen Bewusstsein der eigenen Lage zu tun, mit der Abwägung von Gerechtigkeits- und Umverteilungsfragen. Im Gegenteil. Der ständig weiter gehätschelte Pessimismus führt zur Ablehnung jeden Experiments, jeder selbstbewussten Anspruchshaltung, zur Unterordnung möglicher Initiativen unter den einen, alles beherrschenden Wunsch, es möge noch möglichst lange alles genauso bleiben, wie es ist.

Eine schlechte Grundstimmung

Das große Unken in den plaudernden Nachrichtenformaten dient auch einem Kalkül auf Zuschauertreue. Nicht nur, dass viele Journalisten, die ja nun tatsächlich zu den wenigen Branchen gehören, die noch kein tragfähiges Modell für die Zukunft entwickelt haben, dazu neigen, ihre prekäre Lage aufs Ganze hochzurechnen.

Eine schlechte Grundstimmung bindet auch die Kunden ans Geschäft, das ist ein alter Wahrsagerinnentrick. Die gute Aussicht muss immer die strahlende Ausnahme bleiben vor einem düsteren Horizont. Dann schalten die Leute auch morgen wieder ein. „Kommen Sie gut durch die Nacht!“