Tagung zum kolonialen Erbe: „Der Kolonialismus ist längst noch nicht beendet.“
Es ging viel um Reflexion und Selbstreflexion, um die Infragestellung der eigenen Situation, der eigenen Geschichte.
Die indische Politikwissenschaftlerin Nikita Dhawan, die ehemalige Direktorin des Frankfurt Research Center for Postcolonial Studies, erklärte zum Beispiel „die Werkzeuge des Meisters werden niemals verwendet, um das Haus des Meisters auseinanderzunehmen“, um dann zu sagen, dass kritische Juristen aber genau das tun: Sie verwenden das Gesetz, das geschaffen wurde, um bestimmte Machtverhältnisse zu verfestigen, dazu, sie anzugreifen.
Thomas Krüger, der Chef der Bundeszentrale für Politische Bildung, meinte, dass seine Institution, wenn er sie mit den Augen einer aufgeklärten Aufklärung betrachte, sich auch kritisch als einen „Platzhalter weißer hegemonialer Strukturen“ erkennen müsse.
Ein Stück weit Selbstkritik
Die Bemerkungen fielen auf der Tagung „Koloniales Erbe. (Post-) Koloniales Unrecht und juristische Interventionen“ in der Berliner Akademie der Künste. Veranstalter waren die Bundeszentrale, die Akademie und das European Center for Constitutional und Human Rights. Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien förderte die Veranstaltung.
Letzteres vielleicht auch ein Stück Selbstkritik. Christian Bommarius, langjähriger Mitarbeiter dieser Zeitung und Autor einer Biografie über Manga Bell (1873-1914) berichtete über den Douala-Chief, der vor dem Ersten Weltkrieg gegen die deutschen Kolonialherren vor deutschen Gerichten erfolgreich geklagt hatte und dafür von den Kolonialherren gehängt wurde.
Als vor ein, zwei Jahren der damalige Bundesaußenminister Frank Walter Steinmeier gefragt wurde, ob es nicht an der Zeit wäre, dass Deutschland den Justizmord an Manga Bell endlich als solchen anerkennte, erklärte er, dazu bedürfe es eines Antrags aus Kamerun. Warum kann man einen Fehler erst eingestehen, wenn man von bestimmten Leuten dazu aufgefordert wird?
Kampf um die Anerkennung des Völkermordes
Die Reaktion des heutigen Bundespräsidenten zeigt, dass der Kolonialismus noch nicht beendet ist. Er wird weiter praktiziert. Mnyaka Sururu Mboro, ein Angehöriger des am Kilimandscharo in Tansania lebenden Chagga-Volkes erzählt, dass allein in wissenschaftlichen Einrichtungen Berlins etwa 8000 Schädel aus aller Welt liegen.
Jetzt soll mittels Provenienzforschung festgestellt werden, welche Schädel illegal hier sind. Herr Mboro blickt ratlos ins Publikum und sagt: „Sie haben die Leute umgebracht, den Toten die Schädel abgeschlagen und nach Europa verschifft. Was kann daran legal sein?“
Ester Utjiua Muinjangue aus Namibia kämpft um Anerkennung des Völkermordes, den die deutsche Kolonialmacht an Herero und Nama im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika beging. Die Bundesrepublik weigert sich bis heute, mit Vertretern der namibischen Volksgruppen zu sprechen. Muinjangue verwies darauf, dass die Bundesrepublik sehr wohl mit jüdischen Überlebenden verhandle. Dass Deutschland nicht bereit sei, das auch mit Herero und Nama zu tun, sei Ausdruck eines tiefsitzenden Rassismus.
Eine politisch-moralische Frage
Bernardus Swartbooi, einer der Sprecher der Landlosen-Bewegung in Namibia, wies darauf hin, dass die Regierung Namibias kein Interesse habe, sich für die Herero und Nama einzusetzen. Sie setze sich aus Mitgliedern der Völker des Nordens Namibias zusammen, denen die Deutschen nicht einen Hektar Land geraubt hätten.
Solange die Bundesrepublik sich weigere, direkt mit den Herero und Nama zu verhandeln, sondern allein mit der Regierung in Windhoek, solange laufe für die alles bestens. Die Bundesregierung und die Regierung in Namibia seien sich einig darin, Herero und Nama auszuschließen.
Während die Tagung in der Akademie der Künste lief, erklärte der Namibia-Beauftragte der Bundesregierung Ruprecht Polenz im Deutschlandfunk: „Persönliche Entschädigungen können nicht infrage kommen.“ Die Aufarbeitung der Verbrechen deutscher Truppen in der Kolonialzeit sei eine politisch-moralische und nicht eine Rechtsfrage.
Juristische Aufarbeitung ist notwendig
Die Tagung zeigte, was man in Deutschland schon weiß: Die politisch-moralische Aufarbeitung ist abhängig von der juristischen. Ohne die Prozesse gegen Nazi-Verbrechen wären die womöglich in einer Schweigespirale verschwunden. Es hatte immer wieder Versuche gegeben, einen „Schluss-Strich“ zu ziehen.
Nichts anderes spielt sich heute vor unzähligen Gerichten ab. Bei dem jetzt möglich gewordenen Prozess, in dem Lumumbas Söhne den belgischen Staat beschuldigen, ihren Vater ermordet zu haben, spielt eine große Rolle, dass die Ermordung Lumumbas als Kriegsverbrechen betrachtet werden kann. Kriegsverbrechen haben andere Verjährungsfristen als ein Mord. Der wäre jetzt, nach 57 Jahren, verjährt.
Internationales Recht im Wandel
Die niederländische Juristin Liesbeth Zegveld ist Professorin für Kriegswiedergutmachung an der Universität Amsterdam. Sie vertrat u.a. Angehörige von Opfern des Massakers von Srebrenica in einem Verfahren gegen die Vereinten Nationen und die niederländische Regierung wegen des Verhaltens von UN-Blauhelm-Soldaten vor und während des Massakers.
Auf der Tagung berichtete sie über einen einzigen ihrer vielen Fälle: Am 9. Dezember 1947 ermordeten niederländische Kolonialtruppen mehr als 400 Männer des Dorfes Rawagede in West-Java. 2011 klagten neun Witwen. Es kam zu einer Einigung zwischen ihnen und den Niederlanden. Der Staat gestand seine Schuld ein, bat um Entschuldigung und zahlte jeder der Witwen 20.000 Euro Entschädigung. Die Kanzlei von Liesbeth Zegveld prüft jetzt, ob nicht Kinder auch Entschädigung einklagen können.
Es geht darum, Staatsverbrechen ebenso verfolgen zu können wie die Einzelner. Das Internationale Recht macht in dieser Auseinandersetzung eine Wandlung durch. Es wird vielerorts aus einem Mittel der Unterdrückung zu einem Werkzeug der Unterdrückten.