„Tatort“ aus Ludwigshafen: Die Schreie der Systemsprenger

Im Ludwigshafener Tatort ermitteln Lena Odenthal und Johanna Stern an einer Schule. Der verhaltensauffällige Schüler „Marlon“ liegt tot im Treppenhaus.

Schulsozialarbeiter Anton Leu (Ludwig Trepte) ist der einzige, der Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und Johanna Stern (Lisa Bitter) auch Positives von Marlon berichtet.
Schulsozialarbeiter Anton Leu (Ludwig Trepte) ist der einzige, der Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und Johanna Stern (Lisa Bitter) auch Positives von Marlon berichtet.SWR/Christian Koch

Die Schauspielernamen im Vorspann werden in Schülerschreibschrift geschrieben, eine Schule wird zum „Tatort“ in Ludwigshafen. Der knapp neunjährige Marlon stürmt über den Hof in die Grundschule „Wilhelm Busch“ hinein. Die dröhnenden elektronischen Klänge deuten an, wie eingeschränkt seine Wahrnehmung ist. Während Mitschüler und Lehrer aufgeschreckt wirken, weil Marlon die Teilnahme am Schulfest verboten worden war, rüttelt der Junge vergebens an einer Tür und randaliert im Flur – kurz darauf wird er tot im Treppenhaus gefunden.

Die beiden Kommissarinnen Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und Johanna Stern (Lisa Bitter), deren Kollegen Kampfspuren an den Armen Marlons finden, müssen das Umfeld eines jener Kinder erkunden, die seit dem erfolgreichen Kinofilm von Nora Fingscheidt gern „Systemsprenger“ genannt werden. Einen „Problemfall“ nennt ihn der Vater einer Mitschülerin (Urs Jucker) und verweist auf den gebrochenen Arm seiner Tochter Madita (Hanna Lazarakopoulos). Die Klassenlehrerin, die nach Hilfe telefonierte, statt dem Jungen hinterherzueilen, bekennt sogar Angst. Die Eltern, ein Buchhändler-Ehepaar (Julischka Eichel und Markus Lerch) schwanken zwischen Resignation, Hilflosigkeit und Wut – keine Therapie, kein Arzt, auch kein Taschengeldentzug hatten Marlons Aggressivität dämpfen können. Nur der Sozialarbeiter der Schule (Ludwig Trepte) schien wenigstens zeitweise einen Draht zu ihm gefunden zu haben und fordert von Schülern wie Eltern Trauer für den toten Jungen ein.

Die kinderlose Odenthal erinnert sich an ihre Jugend

Den Fall können auch die Ermittlerinnen nicht aus professioneller Distanz lösen. Stern, alleinerziehende Mutter zweier Kinder, gesteht gelegentliche Kontrollverluste ein, die kinderlose Odenthal erinnert sich an ihre Jugend als unangepasstes Kind – der Beruf habe ihre Energie und Wut in Bahnen gelenkt. Solche Spiegelungen der Tat durch die Kommissare wirken zwar oft aufdringlich – hier aber erscheinen sie passend. Denn auch die Zuschauer sind entweder Eltern oder können sich an die eigene Kindheit erinnern. Dramaturgisch kann sich ein „Tatort“ aber kein offenes Ende wie der Kinofilm „Systemsprenger“ leisten, sondern muss vom Ende her erzählen. „Aber wehe wehe wehe, wenn ich auf das Ende sehe“ – so leitete ja der Schulnamensgeber Wilhelm Busch einst sein Max-und-Moritz-Buch ein.

Auch die Mitschüler von Marlon sind nicht nur zu gemeinen Abzählreimen aufgelegt: „Eine kleine Mickimaus ging ins Rathaus, Rathaus krachte, Mickimaus lachte, Ampel rot, Mickimaus tot“, ruft die streberhafte Madita schon kurz nach Marlons Tod. Während der Dreharbeiten lief der „Tatort“ noch unter dem Arbeitstitel „Und raus bist du!“. Die Kommissarinnen können nicht mal ausschließen, dass ein Kind Marlon die Treppe heruntergestoßen hat – auch Kumpel Pit kann zumindest so nervend schreien wie die Systemsprengerin Benni im Kino.

Daneben führt der Film von Karlotta Ehrenberg (Buch) und Isabel Braak (Regie) recht routineartig und konventionell eine Reihe von Verdächtigen vor: Der brüllende, billige Hausmeister war von den Kindern mit einem Video bloßgestellt worden, der Vater von Madita hatte juristisch mit allen Mitteln versucht, Marlon von der Schule verweisen zu lassen, der Sozialarbeiter wiederum pflegte einen auffällig engen Kontakt mit Marlon und Pit. Das obligatorische Finale an der Dachkante des Schulgebäudes wirkt fast wie eine Tradition. Dafür hält der „Tatort“ einen guten Tipp zum Abbau von Aggressivität bereit. Odenthal reicht Stern einen Einkaufsbeutel: „Einfach die Wut hineinschreien!“

Wertung 3 von 5 Punkten!

Tatort: Marlon – So, 8. Mai, 20.15 ARD