Theater an der Parkaue: Zwischen Wut und Gänsehaut
Das Schloss auf der Bühne im Prater gaukelt den Zuschauern kurz ein Prinzessinnenleben vor. Doch schon der erste Auftritt aller Akteure zeigt, dass es hier nicht hübsch und fein, sondern laut und wild zugeht. Paulina Schmitt, ihrer Nörgelei wegen Maulina genannt, sieht sich aus ihrem Königreich vertrieben. Nicht aus einem echten Schloss, auch das auf der Bühne ist bloß aus Pappe, sondern aus dem schönen Familiendasein in Form von Muttervaterkind. Der Mann – die Worte Vater oder Papa kommen ihr nicht mehr über die Lippen hat eine neue Freundin. Maulina musste mit der Mutter nach Plastikhausen umziehen. Es wird noch schlimmer kommen: Nicht grundlos sind in der neuen Wohnung an vielen Stellen Griffe angebracht. Maulinas Mutter ist krank, wird bald auf den Rollstuhl angewiesen sein, unheilbar krank.
Alles ist in Unordnung, es ist zum Heulen, zum Wütendwerden. Maulina schreit, dass die Wände wackeln.
Die Uraufführung „Die erstaunlichen Abenteuer der Maulina Schmitt“ des Theaters an der Parkaue am Sonnabendnachmittag entfaltete eine große Wucht auf der Bühne im Prater. Die Spiellust des sechsköpfigen Ensembles und die Bedeutung der behandelten Themen ergänzten sich wunderbar. Nun war das ja unbedingt zu erhoffen gewesen. Denn Finn Ole Heinrichs Bücher über Maulina gehören zu den schönsten Beispielen fantasievoller und zugleich lebensnaher Kinderliteratur der letzten Jahre. Der Autor hat selbst zusammen mit Dita Zipfel die Bühnenfassung für Menschen ab 10 Jahren erstellt.
Und es ist wirklich ein Theaterstück geworden. Alles geschieht im Gespräch und im Spiel, nichts wird erklärt, überbrückt. Maulina (Nina Maria Wyss) trägt ein Kleid wie eine Prinzessin, doch sie hat Energie wie eine ganze Kindergruppe. Sie findet einen Freund in Paul (Tim Riedel), der selbst ein Außenseiter ist und deshalb in der Lage, sich auf ihre Verrücktheit einzustellen. Er wird ihr Komplize im Projekt, Mauldawien zurückzuerobern. Manchmal rennen die Beiden gegen die Kulissen. Maulinas Opa kommt immer nur kurz auf die Bühne. Meist hockt er davor am Klavier. Wenn Maulina „Opa“ ruft, brüllt er, weil er nicht alt sein will, fast genauso laut wie sie.
Der Vater (Robert Zimmermann) spielt die Angriffsfläche für Maulinas widerstreitende Gefühle und muss auch seine eigenen darstellen. Mit wenigen Worten zeigt das Stück nämlich die ganze Kompliziertheit des Lebens: Juri liebt eine andere Frau, aber dass seine Ex krank ist, macht ihm zu schaffen. Er möchte die Liebe seiner Tochter zurückgewinnen und sich auch auf das Baby freuen, das seine Freundin erwartet. Maulina und der Vater agieren wie zwei Magneten, die falsch positioniert sind: Erst muss ein Widerstand überwunden werden, bis sie wieder eins sind. Obwohl das Mädchen im Zentrum der Geschichte steht, ihr Maulen und ihre Wut ja durch das Verhalten des Vaters und die Krankheit der Mutter gerechtfertigt werden, setzen das Autorenduo und die Regisseurin Katrin Hentschel auch die Erwachsenen ins Recht. Ihre Losung lautet nicht „Kinder an die Macht“, sondern: Nehmt die Kinder ernst.
In der zweiten Hälfte hat sich die Lage der Mutter (Melina Borcherding) verschlimmert. Die Inszenierung greift nun zu anderen Mitteln. Mit Dampf und Brimborium soll ein Wunder geschaffen werden, doch das erscheint nur wie der vergebliche Versuch, die Wirklichkeit zum Märchen zu verklären. Vor einer Handkamera, deren Bild auf einem großen Aufsteller am rechten Bühnenrand übertragen wird, berichtet die Mutter Melina, was es bedeutet, behindert zu sein. Und sie versichert ihr, dass sie gereift sei, dass sie bereit sein müsste für den Versuch, in die neue Vaterfamilie zu gehen.
Es ist ein Abschied. Die sonst oft verfremdende Videotechnik hat hier eine ungewöhnlich intime Wirkung: In Großaufnahme blickt das Gesicht der Mutter so jeden einzelnen Zuschauer an. Der Saal ist ganz still.
So trägt die Inszenierung den Kern der Bücher auf die Bühne. Das Stück ist zum Lachen und zum Weinen, wie das Leben selbst.