Dolce far niente? Volksbühne feiert die Tugend der Faulheit
Die Schauspielerinnen Julia Thurnau und Margarita Breitkreiz rufen im Roten Salon zur Revolution der faulen Frauen auf. Eine hochpolitische Angelegenheit.

Die Faulheit ist verpönt, weibliche Faulheit geradezu ein Tabu. Von Frauen erwartet die Gesellschaft den kompletten Einsatz in allen Lebensbereichen. Die Schauspielerinnen Margarita Breitkreiz und Julia Thurnau rufen in der Volksbühne mit der Performance „Artist at work“ zur Revolution der faulen Frauen auf. Ein Gespräch mit ClaudeHilde alias Julia Thurnau über die Faulheit als feministische und gesellschaftliche Exit-Strategie.
Frau Thurnau, Sie wollen eine Revolution der weiblichen Faulheit ausrufen, brauchen Sie vielleicht einfach nur eine Pause?
Beides. Faulheit ist die Grundlage allen kreativen Schaffens, sagte der jugoslawische Konzeptkünstler Mladen Stilinović. Deswegen haben Frauen jetzt eigentlich keine Zeit mehr für Arbeit, sie müssen einfach mal Pause machen, um den kulturellen Wandel einzuleiten, bevor die Welt untergeht und wir uns alle gegenseitig abgeschossen haben. Um die Welt zu retten, rufen wir zur Revolution der faulen Frauen auf.

Danach setzte sie ihre Karriere fort und schloss ein Studium der Bildenden Kunst als Meisterschülerin der Lensbased-Klasse an der Universität der Künste Berlin ab. Unter dem Pseudonym ClaudeHilde ist Julia Thurnau als Künstlerin und Fotografin aktiv.
Faulsein ist eine Männerdomäne, sagen Sie. Der Mann liegt auf dem Sofa rum, die Frau wuselt wie ein Duracell-Häschen durchs Leben. Ist das nicht ein Klischee?
Na ja, in Deutschland gibt es den Gender-Pay-Gap und den Gender-Care-Gap. Frauen verdienen für die gleiche Arbeit weniger und dazu bleibt noch die unbezahlte Haus- und Sorgearbeit an ihnen hängen. Das ist kein Klischee. Frauen können es sich schlichtweg nicht leisten, faul zu sein, schon weil sie sich an der „gläsernen Decke“ abarbeiten müssen. Im Kunst- und Kulturbereich ist der Gender-Pay-Gap sogar bei dreißig Prozent. Das entspricht drei Monaten Faulheit im Jahr, die Frauen einfach verpassen. Zudem sind Frauen in vermeintlichen Ruhepausen permanent mit Selbstoptimierung beschäftigt. Sie erarbeiten ihr „erotisches Kapital“, um überhaupt wettbewerbsfähig zu sein.
„Everybody dreams of the happiness of laziness“, sagte der russische Maler und Pionier der Faulheitsforschung Kazimir Malewitsch, auf den Sie sich beziehen. Was heißt das, wenn Sie ankündigen, den himmlischen Status der „happiness of laziness“ erreichen wollen?
Jeder Rubel wird im Hinblick auf eine zukünftige Faulheit erarbeitet, sagt Malewitsch. Als Begründer des Suprematismus hat er mit dem schwarzen Quadrat die abstrakte dematerialisierte Kunst erfunden. Solch dematerialisierte Arbeiten versteigern wir in der Volksbühne – ganz materiell. Wir investieren den Erlös in unbezahlte Arbeit und leiten den kulturellen Wandel ein. Praktischerweise hat Malewitsch eine genaue Bastelanleitung hinterlassen. Wir haben uns in der Volksbühne dicke Schnurrbärte besorgt und zwei Galeristinnen angeheuert. Wir wissen, wie der Hase läuft, und verkaufen Faulheit als Produkt, welches mit der Eintrittskarte erworben wurde.
Warum sollte man denn faul sein?
Was ist denn das für ein Konzept, die nicht Arbeitenden auszurangieren und leistungsgebunden notzuversorgen? Bestimmte Arbeiten zu wertschätzen und andere Arbeit nicht? Der Planet ist voll mit Schönem, das wir vernichten, um eine Playstation zu erwerben oder ein neues Handy oder noch ein Auto und eine neue Spülmaschine, während sich genau diese Dinge in gigantischen Müllbergen stapeln. Ist es da nicht wünschenswert, in den Müßiggang zu schalten, bevor wir zu alt sind und in der jetzigen Struktur sowieso ausrangiert werden? Es ist Zeit für einen neuen Nullpunkt. Es reicht aber nicht, über Faulheit Bescheid zu wissen, man muss sie üben und perfektionieren. Und diese Challenge nehmen wir einfach an.
„Artist at work“ im Roten Salon der Volksbühne, 4. März, 20 Uhr, Karten unter Tel.: 030 24065777 oder www.volksbuehne.berlin