Strindberg in der Steuerzentrale: Kay Voges inszeniert den „Totentanz“
Der Regisseur kombiniert im Berliner Ensemble den Klassiker des Eheschreckens mit der US-Serie „Lost“. Ein Abend zwischen Boulevard und Bunkerspiel.

Das Interieur erinnert an die Steuerzentrale eines Kernkraftwerkes aus den 1970ern. Wir sehen in einen zur Hälfte aufgeschnittenen, eigentlich hermetischen, achteckigen Raum, der von einem verdreckten Oberlicht dominiert wird. Zugang erhält man durch eine Bunkertür, in die Wände sind Überwachungsmonitore mit Meeransichten eingelassen, überall blinken Signallämpchen und irgendwelche Apparaturen. Das also ist der Strindberg’sche „Festungsturm aus Graustein“ auf einer abgelegenen Quarantäneinsel. Hier grillen sich Alice und Edgar seit über zwanzig Jahren in einem ehelichen Fegefeuer und tanzen ihren „Totentanz“ des Hasses und der Hörigkeit.
Viel Aufwand wegen eines Gartenbeets
Das Stück ist aus dem Jahr 1908 und kann durchaus mehr oder weniger realistisch inszeniert werden, wie es zum Beispiel Thomas Langhoff mit Dagmar Manzel und Dieter Mann im Deutschen Theater (2006) oder Peter Zadek mit Gert Voss und Hannelore Hoger im Burgtheater (2005) getan haben – als wohldosierte Florettgefechte mittelbewusster Schauspielerpaare, die immer mal vulgär und brutal ausfallen, dass einem das Spießerherzchen einfriert. Oder man nimmt es, wie es der Regisseur und Intendant des Wiener Volkstheaters Kay Voges im Programmheft ankündigt, als existenziell-absurdes Vernichtungsendspiel in einer sinnlosen Welt à la Beckett. Hören wir kurz einmal rein: „Edgar: Viel Zeit bleibt uns nicht mehr. Ein paar Jahre noch. Dann ist Schluss. – Alice: Schön wär’s. – Edgar: Dann ist Schluss. Unsere Überreste kommen in eine Schubkarre, die man aufs Gartenbeet kippt. – Alice: So ein Aufwand wegen eines Gartenbeets am Ende. – Edgar: So ist es eben.“ Einerseits von finsterer Groteskheit, andererseits wie aus dem Leben gegriffen.
Der fünfzigjährige Kay Voges ist ein Regisseur der wuchtigen technischen, organisatorischen und multimedialen Setzungen, nicht unbedingt der Schauspielführung. Seine Inszenierungen haben den Anspruch, die Welt mit bedeutungsgestopften Bildarchitekturen zu ergründen, ob es sich nun um die zum Theatertreffen eingeladene „Borderline Prozession“ (2016) handelt oder gleich ums „Erste Evangelium“ (2018), das an der Volksbühne gastierte. Für das Berliner Ensemble hat er mit „Parallelwelt“ (2018) einen Theaterabend erschaffen, der mittels Glasfaserverbindung zugleich in Dortmund zur Premiere kam.
Spielt mit der Rasierklinge
Gemessen an diesen gestaltungspotenten Angebereien fällt diese aktuelle Arbeit trotz ihres Bühnenbildaufwands seltsam bescheiden, man könnte auch sagen: kleinkariert und zusammengefummelt aus. Dabei zapft Voges mit der amerikanischen TV-Serie „Lost“ aus den Nullerjahren noch eine weitere Inspirationsquelle an. Sie hat zweierlei mit Strindberg zu tun: Einmal spielt sie ebenfalls auf einer abgelegenen Insel, auf die sich die Insassen eines abgestürzten Flugzeugs retten. Und die Sinnlosigkeit und Ratlosigkeit des Tuns äußert sich in der auferlegten Pflicht, im Inneren einer geheimen Steuerzentrale alle 108 Minuten einen Code einzugeben, damit die Welt nicht untergeht. Abgesehen davon, dass das Bühnenbild von Daniel Roskamp dieser Serie nachempfunden ist und ein digitaler Countdown die Minuten zählt, folgt aus dieser dramaturgischen Konstruktion außer Erklärungsbedarf nichts Wesentliches für das Paar.
Claude De Demo langweilt sich als Alice zu Beginn ein paar Minuten in einem Pilotenstuhl, der in der Mitte des Raumes montiert ist. Sie trägt einen brokatenen Morgenmantel und rasiert sich mit einem Klappmesser die Beine, was sich dem eingespielten Geräusch nach eher wie das erbarmungslose Wetzen einer Klinge anhört. Marc Oliver Schulze kommt als Edgar von seinem Rundgang, pellt sich aus einem Seuchenkittel mit Gasmaske und hechtet, noch bevor irgendein Wort gesprochen wurde, durch einen Schacht, um in der Küche eine Ratte zu erlegen. Und da war das Beste an dem Abend auch schon vorbei.
Was folgt, ist das Geplänkel ausgedachter Seltsamkeiten, die so absurd und aus der Luft gegriffen sind, dass jeder Satz angesagt und jede Handlung ausgedacht wirken. Kein Dialog entwickelt sich zwingend oder wenigstens logisch, entsprechend entstehen auch keine Figuren, sondern Varianten vorführende Sprechapparate, die seltsamerweise an gespielte Witze und Fernsehschwänke erinnern – nur dass das eingespielte Lachen fehlt. Die Gemeinheiten bleiben unmotiviert und tropfen folgenlos ins Nichts. Auch dass das Paar dem Alkohol zuspricht, von Kurt (Gerrit Jansen) Besuch erhält und sich nun ausgiebig über Bande verletzen könnte, schafft keinerlei Spannung zwischen den Figuren.
Dabei wird es recht drastisch und explizit, wenn Edgar sich zum Beispiel mit dem Rasiermesser zwischen den Beinen Alices zu schaffen macht, bis es blutet, oder wenn Kurt einen erotomanischen Anfall erleidet und Alice die Füße leckt, bevor er in den Keller gesperrt und ein Gashahn aufgedreht wird. Aber auch solcherlei unbegründete Plötzlichkeiten gehen in der Spontanamnesie der Figuren sofort wieder verloren. Genauso wenig lässt sich nachvollziehen, in welchen Momenten Alarm ausgelöst wird. Ist aber egal, denn danach springt die Uhr wieder auf 108 Minuten. Nach knapp anderthalb Stunden verzögerten Stillstands ist das Theater aus, und der Ehekrieg geht ewig weiter. Hoffentlich reicht der Whiskey.
Totentanz. 26. Februar; 18., 19. März, Karten und Beginnzeiten unter Tel.: 030 28408115 oder www.berliner-ensemble.de