Ausbleibender Kniefall: Marco Goecke rechtfertigt sich nach Hundekotangriff

Der Kulturbetrieb ist nach Marco Goeckes Anschlag auf eine Kritikerin aufgewühlt, die Reaktionen sind weit aufgefächert, auch die Beteiligten kommen zu Wort.

Das Leitmotiv des Skandals in schematischer Darstellung.
Das Leitmotiv des Skandals in schematischer Darstellung.Screenshot

Der Hannoveraner Hundekacke-Eklat ist noch lange nicht auserzählt. Die Geschichte hat schon einiges am Wegesrand hinterlassen, was noch einzusammeln und fachgerecht zu entsorgen wäre. Die internationale Presse berichtet, die gesamte Kulturbranche ist aufgewühlt und verbalisiert auf vielen zur Verfügung stehenden Kanälen ihre Verwirrung. Der niedersächsische Kulturminister hat sich für Marco Goecke bei Wiebke Hüster entschuldigt, Hannovers Oberbürgermeister begrüßt die Suspendierung Goeckes, der Theaterregisseur Leander Haußmann schämt sich für Goecke und empfiehlt einen bedingungslosen Kniefall vor Hüster, die Autorin Sybille Berg wirft sich – Künstler sind Ausnahmemenschen – schützend vor den Täter und rät ihm, seltsamerweise aber auch seinem Opfer zur Therapie.

Auch diese beiden Beteiligten melden sich ausführlich zu Wort. Sowohl der vormalige, inzwischen suspendierte Hannoveraner Ballettdirektor Goecke, der am vergangenen Wochenende im Foyer seines Hauses während einer Premierenpause zum Kotbeutel griff, als auch die Tanzkritikerin Hüster, der Goecke den Inhalt des Beutels ins Gesicht drückte. Und sogar Gustav, Goeckes Dackel, äußert sich mit den ihm zu Verfügung stehenden Mitteln zum Thema, indem er für das Fernsehteam der 3sat-„Kulturzeit“ auf den Gehweg kackt.

Was ist in die TV-Kollegen gefahren? Sie filmen nicht nur den Hund beim Defäkieren, sondern lichten den Haufen auch noch einmal in Großaufnahme für Schnittbilder ab und vermitteln ein Gefühl für die Konsistenz, indem sie eine Hand mit Tüte das Substrat aufheben lassen. Dieses sinnliche Erlebnis wurde dann tatsächlich in dem abendlichen Beitrag mindestens zweimal in die bildungsbürgerlichen Wohnzimmer unserer deutschen Sprachrepublik ausgespielt. Es ist ganz eindeutig Goeckes Wahl des Kampfmittels, das als zentrales Motiv das Interesse an dem Vorfall bindet und am Kochen hält. Das Theater ist wieder in aller Munde!

Hier Goeckes schriftliches Statement, das ihm möglicherweise sein Management formuliert hat: „Ich möchte mich bei allen Beteiligten an erster Stelle bei Frau Hüster, für meine absolut nicht gutzuheißende Aktion aufrichtig entschuldigen. Im Nachhinein wird mir bewusst, dass dies eine schändliche Handlung im Affekt und eine Überreaktion war.“ Schon diese Entschuldigung dient vor allem dazu, die Handlung ohne Vorsatz darzustellen, was recht abwegig erscheint, wenn man überlegt, wie das gefüllte Tütchen mit ihm ins Theaterfoyer gekommen sein könnte. Aber gut.

Schwerer wiegt, dass er in seinen mündlichen Erläuterungen, die er vielleicht doch lieber unterlassen hätte, diese Entschuldigung prompt zurücknimmt, indem er sein Verhalten relativiert und seine Motive als nachvollziehbar hinstellt, wobei er die Hinterlassenschaft seines Hundes metaphorisch auf das überträgt, was Wiebke Hüster in ihren Kritiken über ihn geschrieben habe: „Ich wünschte wir hätten uns gegenseitig weniger Scheiße ausgeteilt.“ Die Verkennung seiner Situation und seiner Handlung bringt er so auf den Punkt: „Dass die Leute jetzt mich attackieren, dass ich der Täter bin und sie das Opfer ist, das ist einfach zu kurz gedacht. Es war einmal an der Zeit zu sagen: Das tut weh, das ist Gewalt, das ist Mobbing.“ Besonders rätselhaft und kühn konstruiert ist dann dieser Gedanke: Die „hochgelobte Pressefreiheit ist doch nur so viel wert, wenn man diese nicht ausnutzt“.

Neun Kritiken in 17 Jahren

Wiebke Hüster wird dann im „Kulturzeit“-Studio live befragt, gibt kompetent und fast wohlgelaunt wirkend Auskunft. Sie zeigt sich selbst überrascht von ihrer Resilienz, erfreut über die Berichterstattung, die sie als solidarisch empfindet, und schockiert von der angeblichen Entschuldigung Goeckes. Sie rückt noch einmal zurecht, dass Goecke sich eine Legende stricke, wenn er sagt, dass sie ihn über 20 Jahre in seiner Arbeit persönlich angegriffen habe und ordnet ein: lediglich neun Kritiken in 17 Jahren habe sie verfasst, zwei davon seien positiv bis begeistert. Für sie ist das Kapitel Goecke abgeschlossen, sie habe sich den Hundekot abgewaschen und dann getan, was sie tun konnte: Anzeige erstatten und Auskunft geben. Sie werde nie wieder eine Arbeit von Goecke besuchen, was mit ihm werde, daran habe sie keine Aktien. Wohltuend ist ihr Hinweis darauf, dass die Kritik mitnichten für die Besucherzahlen von Theaterhäusern verantwortlich sei. Stimmt! Sie steht allein der Leserschaft gegenüber in der Verantwortung.

Noch ist der Schaden nicht zu ermessen

Was wird noch zu klären sein? Arbeitsrechtlich hat Goecke keine guten Karten, wenn das Staatstheater, das ihn schon suspendiert und mit einem Hausverbot belegt hat, ihn vermutlich ganz seines Postens enthebt. Bitterer ist die Frage, was mit seiner Compagnie passieren wird, die ja nun nichts dafür kann und die Folgen zu tragen haben wird. Was wird mit den Verabredungen, die schon mit anderen Häusern getroffen sind? Werden jetzt die Spielpläne um seinen Namen bereinigt? Mannheim und Wiesbaden zum Beispiel haben bereits fertige Goecke-Choreografien im Programm. Und wer wird ihm neue Arbeit geben? Wollen oder müssen wir wirklich auf die Kunst des vielfach ausgezeichneten und renommierten Choreografen verzichten? Es wird immer deutlicher, welchen Schaden Goecke angerichtet hat.

Aber ist es tatsächlich nötig, über das Selbstverständnis der Kritik zu debattieren, wie es zum Beispiel der ehemalige Bühnenvereinschef Marc Grandmontagne nahelegt? Woher kommt eigentlich dieser Dreh? Will man uns milde stimmen mit der Aussicht, dass man angegriffen werden kann, wenn man Kunst kritisiert? Mein Selbstverständnis steht jedenfalls auch ganz ohne diese Aussicht bei jedem Verriss auf der Probe. Aber das sind Selbstzweifel, die kleben besser als Hundekot und gehen keinen was an.