Im Gespinst der Familienfäden: Daniela Löffner inszeniert Simon Stephens

Weil die Mittelschicht es auch nicht leicht hat: Die Kammerspiele bieten Schauspieltheater mit den Premiumkräften des DT-Ensembles: „Am Strand der weiten Welt“.

Alexander Khuon und Kathleen Morgeneyer in „Am Strand der weiten Welt“ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters.
Alexander Khuon und Kathleen Morgeneyer in „Am Strand der weiten Welt“ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters.Arno Declair

O weh, die Zeit! Da tickt sie bedrohlich vor sich hin und wird den ohnmächtigen Menschlein auf der weißen Drehbühne der Kammerspiele wohl weiterhin ihre Wunden schlagen. Über den Köpfen der neun Premiumschauspieler des DT-Ensembles pendelt ein wuchtiger Holzbalken, der die Familie Holmes, die sie spielen, eigentlich beunruhigen und mal irgendwie aus den Puschen jagen müsste. Sie zumindest mal ein bisschen aus der nur privatistischen Drehung ihrer gut eingeölten, liberalen Mittelschichtsgedanken herauslocken und ein paar brauchbare, lebens- oder gesellschaftsrelevante Dinge in Angriff nehmen sollte. Aber die Holmes’ machen einfach so weiter wie schon zweieinhalb Bühnenstunden und sechs Handlungsmonate zuvor. Alle helfen freundlich beim Tischdecken und lassen die kleinen, individuellen Übergriffe, Anmaßungen und drängenden Fragen einfach verpuffen.

Ein Familienstoff für Daniela Löffner

Dabei haben sie einiges miteinander durchzustehen in Simon Stephens’ Well-Made-Play „Am Strand der weiten Welt“ von 2005. Bereits nach dem ersten Akt kommt der quirlige Sohn Christopher bei einem Unfall ums Leben, die Eltern entfremden sich vergrämt voneinander, der sexistische Großvater tyrannisiert die Oma, die ihrerseits die abdriftende Schwiegertochter zur Unterordnung drängt, die wiederum ihren 18-jährigen Sohn Alex, der das Weite suchen will, emotional in Haft nimmt. Jaja, die Familie, auch die superliberale bleibt ein Spinnennetz aus schillernden Macht- und Ermächtigungsfäden, in dem das Wichtigste unterschwellig passiert. Doch so homöopathisch kleindosiert und in TV-Format schablonisiert wie Simon Stephens das tut, braucht den Stoff auf der Bühne heute niemand mehr.

Großes Rätsel bleibt daher, wieso das DT ausgerechnet diese Arbeit des britischen Erfolgsautors zur Aufführung gewählt hat. Wahrscheinlich nur, um der Regisseurin Daniela Löffner nach ihrem Erfolg mit „Väter und Söhne“ erneut einen Familienstoff zu bieten, an dem sie ihre detaillierte Schauspielerregie erproben kann. Und tatsächlich ist dieser Abend nun auch zu einem janusköpfigen Beweis ihres Regietalents geworden. Denn so rührselig gedankenarm das Stück auch in ihren Händen bleibt, so raffiniert hat sie es doch in ein überraschend schnelles, stark verdichtetes Szenen-Pingpong auf die Drehbühne gelupft. Wobei Wolfgang Menardi diese Drehbühne selbst noch mal in drei gegenläufige Ringe geteilt hat, die in den dramatischsten Momenten zusätzlich in die Schräge kippen.

Von der Sonne eingesaugt

Besonders die jungen Nachwuchskräfte Niklas Wetzel und Jona Gaensslen bringen als verliebte, singende Brüder Alex und Christopher zusammen mit Wassilissa List, der bitchigen Freundin Sarah, am meisten Glaubwürdigkeit in diesen Drei-Generationen-Brei. Während Kathleen Morgeneyers Mutter vor allem Nervenbündel ist und ihr Mann Peter (Alexander Khuon) sich meist hilflos herumdrücken muss. In 5000 Jahren, weiß Christopher, werde die Erde in die Sonne eingesaugt. Die Holmes scheinen irgendwie schon drin.

Am Strand der weiten Welt. 4., 5., 21., 23. März in den Kammerspielen des Deutschen Theaters, Karten und Beginnzeiten unter Tel.: 28 44 12 25 oder www.deutschestheater.de