Das Donnern der Kulturfront: Die Ukraine ist Schwerpunkt bei Radar Ost

Das Radar Ost Festival im Deutschen Theater eröffnet zum fünften und letzten Mal  mit der ukrainischen Uraufführung „HA*L*T“.

Im Deutschen Theater begann mit der Inszenierung „HA*L*T“ das Festival Radar Ost.
Im Deutschen Theater begann mit der Inszenierung „HA*L*T“ das Festival Radar Ost.Arno Declair

Als das Radar Ost Festival vor fünf Jahren erstmals den Auftakt der Autorentheatertage bildete, war das eine schöne, längst überfällige Öffnung der hierzulande eher gesättigten Gegenwartstheaterschau. Dass diese Öffnung gen Osten auch eine hin zu Theatern in meist prekären, staatlich bedrohten Verhältnissen war, zeigten damals gerade die russischen Gastspiele des Gogol Centers des damals inhaftierten Kiril Serebrennikow am besten. Das Center gibt es heute so nicht mehr und die bei Radar Ost immer mitspielende politische Brisanz hat sich seitdem von Moskau über Belarus, Ungarn und Georgien in die Ukraine verlagert. Wen wundert‘s?

Ein energisches „Trotz allem!“ habe dieses kleine, ruppige Festival von Beginn an geprägt, fasst die Gründerin Birgit Lengers zu Beginn dieser letzten Ausgabe vor dem Intendantenwechsel am Deutschen Theater die kurze Geschichte zusammen. Und treffender kann man das Programm auch dieses Jahres kaum beschreiben, das sechs Gastspiele aus der Ukraine, Belarus, Georgien und Slowenien nach Berlin holt. Der Krieg in der Ukraine bleibt dabei unumstrittenes Zentrum, was schon die Uraufführung „HA*L*T“ des Kiewer Left Bank Theaters unter Regie seiner Leiterin Tamara Trunova gleich zur Eröffnung zeigte. Allerdings ließ sie auch keinen Zweifel daran, was sich dieses Kiewer Theater auf die Fahnen geschrieben hat: den Krieg im Feld mit allen theatralen Mitteln auf der Bühne fortzuführen, um gerade in Westeuropa jede Unterstützung für die Ukraine auszubauen.

Natürlich ist Agitation dieser Art legitim und verständlich, künstlerisch aber fatal. Denn wer lässt sich schon gern von der Bühne herab die angebliche Wahrheit predigen, wo doch gerade das Infragestellen allen Predigertums die erste Aufgabe der Kunst ist? Dabei stellt Hamlet, der eigentliche Großmeister des Zweifels, die Fassadenfigur des Abends dar. Er stammt aus jener Shakespeare-Produktion, die das Kiewer Ensemble genau am 24. Februar 2022 aufführen wollte. Der russische Einmarsch zerschlug es. Nun trifft sich in „HA*L*T“ das geschrumpfte Personal, wie in einer Zeitkapsel hierher katapultiert, plötzlich auf der Vorbühne der DT-Kammerspiele wieder und kommt langsam zu Bewusstsein: die „Hamlet“-Premiere hat es nie gegeben, viele Kollegen sind an der Front und die Übriggebliebenen müssen nun entscheiden: Spielen oder Nichtspielen? Schlafen, vielleicht träumen?

Traumkulisse Front

Nein, natürlich wachen sie auf, finden sich zwischen ihren Rollen und dem Kriegsalltag wieder zurecht und beraten, wie sie uns, die weiter träumenden Westzuschauer aus dem Tiefschlaf holen können. Das machen sie zwei Stunden lang mit viel großemotionalen Shakespeare-Rezitationen, etwas kulturhistorischem Klimbim, eigenen Lebenserzählungen, dem Verlesen von Gefallenenlisten und einer Videoschalte an die Front vor dunkel schimmernder Traumkulisse. „Spielen oder Nichtspielen?“, das ist hier nie ehrlich die Frage, denn sehr bald schon definiert Oleh Stefan dieses Erweckungsspiel im Dienst der Ukraine als heilige Pflicht gegenüber den Kämpfenden und Gefallenen. Die Kulturfront donnert im Deutschen Theater.

Radar Ost 2023. Noch bis 12. März. Programm und Informationen unter Tel.: 28441225 oderwww.deutschestheater.de

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