Warum sich Bertolt Brecht an seinem 125. Geburtstag im Grab umdreht
Ausgerechnet der Kritiker des Kapitalismus wird zu einer Wertanlage verramscht: Sein Konterfei schmückt eine neue Gedenkmünze im Nennwert von 20 Euro. Kaufen!

Beginnen wir mit etwas Arithmetik, bevor wir noch zur Dramatik und schließlich zur Grammatik kommen: Wenn Bertolt Brecht ein Jahrtausenddichter sein soll, hat er es immerhin schon während eines Achtels der Zeitspanne vermocht, im Gedächtnis zu bleiben. Am 10. Februar 1898, also vor 125 Jahren, wurde er als Eugen Berthold Friedrich Brecht in Augsburg geboren. Gestorben ist er viel zu kurz danach, nämlich bereits am 14. August 1956. Was immerhin den Vorteil hat, dass wir nur noch gute drei Jahre warten müssen, bis seine Werke 70 Jahre nach dem Ableben des Verfassers gemeinfrei werden und seine Erben kein Mitspracherecht zum Beispiel bei Inszenierungen seiner Stücke mehr haben. Grund genug, sich in seinem Zinksarg auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof immer mal umzudrehen. Wer kommt auf die Idee, diesem Kritiker des Kapitalismus den Wind dermaßen frech aus den Segeln zu nehmen und eine Kapitalanlage aus seinem Namen zu machen?

Oder sollte er sich da unten vielleicht doch geehrt fühlen, wenn sein Konterfei eine 20-Euro-Gedenkmünze schmückt? Eine den Angaben des Finanzministeriums nach 18 Gramm schwere Sterlingsilber-Münze (Ag 925) mit einem Durchmesser von 32,5 Millimetern, hergestellt in den beiden Prägequalitäten Stempelglanz und Spiegelglanz. Die stempelglänzenden Exemplare werden anlässlich des Geburtstags zum Nennwert, also 20 Euro, in den Verkehr gebracht. Ein wenig passt es ja zu seiner rhetorischen Frage: Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank? Schade, dass man nicht dieses Zitat auf das Geldstück geprägt hat. Und schade auch, dass man den Greifvogel zwar etwas gefleddert, aber doch unversehrt abbildet – ohne das martialische rote Kreuz, mit dem Brecht in seinem Theater am Schiffbauerdamm den Reichsadler übermalt hat.

Sehr dialektisch ist der Text im Katalog des Bundesfinanzministeriums, nach welchem die „in ihrem Wesen heitere Darstellung des Porträts“ ergänzt werde „durch das Motto ‚Ändere die Welt: sie braucht es!‘“ Dieses Zitat stammt aus Brechts Lehrstück „Die Maßnahme“ von 1930, in welchem er eine Gruppe von kommunistischen Agitatoren vor dem Chor des Parteigerichts die Tötung eines ihrer Kameraden rechtfertigt. Man hat ihm das als Kommentar zu den stalinistischen Säuberungen ausgelegt. Brecht selbst hat die Aufführung des Stücks nach 1945 verboten. Aber all das macht den Satz ja nicht falsch – auch wenn die Motivation zum Weltändern mit einem weiteren Spruch auf dem Münzrand gleich wieder runtergekocht wird. Der stammt ebenfalls aus einem Lehrstück, „Die Mutter“ (1931), und lautet: „Das Schicksal des Menschen ist der Mensch.“ Demotivierend ist es deshalb, weil Schicksale die Eigenschaft haben, unabwendbar zu sein und insofern jegliche Weltänderungsbemühungen obsolet sind, wenn man nicht zur einzig sinnvollen Maßnahme greifen und die Menschen abschaffen will.
Was uns gar nicht aufgefallen wäre, und was wir dankbar aus dem Erklärtext über die Münzprägekunst zur Kenntnis nehmen, ist die „Verdrehung des Porträts und des Schriftzugs aus der Bildachse“, die „für den Betrachter zu einer subtil produktiven Irritation“ führe. Tatsächlich! Das Maßnahme-Zitat ist schief. Und diese subtile Verschiefung wird als Analogie zum Verdienst des zu Ehrenden verstanden: „So wie Brecht sich künstlerisch auf neue Wege begab, so wählt die Gestaltung der Münze eine lebensbejahende und gleichzeitig zurückhaltende Bildsprache.“ Was kann man als Geehrter da noch tun, außer sich in seinem Grabe ein bisschen aus der Achse zu drehen?

Ähnlich zwiespältige Gefühle werden Besitz vom lebenden Brecht ergriffen haben, als er im Dezember 1954 erfuhr, dass er den Stalinpreis, genauer: den „Internationalen Stalinpreis für die Festigung des Friedens zwischen den Völkern“ erhalten würde. Gut, dass er da noch nicht wusste, dass Thomas Mann den Preis zuvor abgelehnt hatte (Notiz in dessen Tagebuch: „Angebot des Friedenspreises. Unannehmbar. Abermals 100 000 Franken verschmäht.“). Dieser Preis war das Pendant zum westlichen Friedensnobelpreis und auch insofern nicht so leicht zu nehmen, weil damit nicht Brechts Kunst, sondern sein Engagement für den Frieden geehrt wurde. Er bedankte sich natürlich dennoch brav. Ein neu erschienener Band mit Interviews, auf den wir anlässlich des Geburtstages und des passenden Titels wegen – „Unsere Hoffnung heute ist die Krise“ – gern verweisen, bringt etwas Licht in die Sache.
Stalin war zwar schon tot, aber die Entstalinisierung hatte offiziell noch nicht begonnen, und der Stalinpreis wurde erst 1956 nach dem folgenreichen XX. Parteitag der KPdSU in Leninpreis umbenannt. So oder so wird Brecht an den Glückwünschen zu würgen gehabt haben. Man kann es aus einem Zitat aus einem Brief an Ernst Busch herauslesen: „Ich bin gerade wie ein roter Hund und ziehe allgemeine und leider auch herzliche Gratulationen auf mich, wo immer ich gehe.“ Ein bisschen freute er sich jedenfalls über eine Gratulation vom Amt für Literatur und Verlagswesen, dem er mit einem Gedicht in der Berliner Zeitung kurz nach dem 17. Juni 1953 ordentlich auf die Finger geklopft hatte. Den Übertragungsfehler des Telegramms, das aus dem Dramatiker einen Grammatiker machte, nahm er laut einem Bericht von Rudolf Reinhardt (der bald in den Westen ging) „bissig“ als „vom Amt selbst redigiert“ zur Kenntnis.
Wie auch immer, er nahm den Preis an. Und die Hälfte der 100.000 Rubel, mit denen der Preis dotiert war, wollte Brecht, bevor er nach Moskau fuhr, um den Preis entgegenzunehmen, in Schweizer Franken umgemünzt und auf ein Konto in Zürich überwiesen haben. Auch so eine subtile und produktive Irritation.
Buchempfehlung: „Bertolt Brecht: Unsere Hoffnung heute ist die Krise. Interviews 1926–56“, Suhrkamp-Verlag, Berlin 2023, 750 Seiten, 35 Euro