Kodex gegen Machtmissbrauch: Die Verhaltensregeln des Bühnenvereins, Paragraf 1

Helfen neue Regeln gegen Machtmissbrauch und Diskriminierung an deutschen Theatern? Nicht allein, aber man kann die Unterzeichnenden beim Wort nehmen.

Mit Flügel und Ehrenkranz, aber ohne Schwert: Thalia, die Muse des Theaters
Mit Flügel und Ehrenkranz, aber ohne Schwert: Thalia, die Muse des Theatersdpa/Swen Pförtner

Wie versprochen, wollen wir uns in dieser kleinen Serie mit den Verhaltensregeln beschäftigen, die sich der Bühnenverein in einem Kodex gegeben hat, um Machtmissbrauch und Diskriminierung an deutschen Theatern und Orchestern zu verhindern. Man muss sie nur einhalten, und schon ist alles gut. Also Regel Nummer eins: „Ich verhalte mich anderen gegenüber rechtskonform und respektvoll. Das gilt auch für den künstlerischen Arbeitsprozess.“

Interessant wird diese Regel erst durch den zweiten Satz, denn der erste benennt eine Selbstverständlichkeit. Warum muss diese eigens auf den „künstlerischen Arbeitsprozess“, vereinfacht auf die Probe und die Aufführung, bezogen werden? Nach dem Dramaturgen Bernd Stegemann unterscheidet man mehrere kommunikative Ebenen, die am Theater ineinander übergehen können, aber dennoch unterschiedlichen Regeln unterliegen: Da wäre 1.) die Sprache des alltäglichen Betriebs, die sich von keiner herkömmlichen Verwaltung oder Schraubenfabrik unterscheiden müsse, 2.) die Sprache eines Teams, das an einem Projekt arbeitet und dabei möglicherweise in einen gemeinsamen Flow gerät und Codes verwendet, die von außen betrachtet, Rätsel aufgeben oder Verwunderung auslösen können. Und dann gibt es 3.) die Sprache, die im geschützten Raum der Probe gesprochen wird, und in der nicht immer leicht zwischen Vorschlag, Anweisung und Subtext-Einsprache differenziert werden kann.

So können Sprüche aus der extemporierten Figurenrede rutschen und beim Kollegen an der Privatadresse eintreffen. Wenn Letzterer beleidigt oder getriggert ist, muss das nichts mit übertriebener Sensibilität oder mit falsch verstandenem Berufsbild zu tun haben. Es kann auch an seinen speziellen Diskriminierungserfahrungen und an dem fehlenden Gespür und den blinden Flecken der anderen liegen.

Es geht also nicht darum, nur noch Stücke zu zeigen, in denen politisch korrekte Figuren in einen rechtskonformen Dialog miteinander treten und respektvolle Umgangsformen pflegen, wie gemahnt wird. Die sollen aber dann verlässlich einsetzen, wenn das Spiel ausgesetzt ist. Eigentlich kennen wir das aus dem Sandkasten, wenn der eine merkt, dass der andere ausgestiegen ist, und versucht, die Situation mit dem Satz zu retten: „War doch nur Spiel!“