Der Schweizer Theatermacher Milo Rau wird Intendant der Wiener Festwochen

Milo Rau steht für ein recherchegetriebenes, politisches und aktivistisches Theater, das in die Wirklichkeit eingreifen will. Passt das zu dem Wiener Festival?

Milo Rau wohnt der Pressekonferenz am Freitagvormittag bei, während der er von der Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler als neuer Intendant der Wiener Festwochen vorgestellt wurde.
Milo Rau wohnt der Pressekonferenz am Freitagvormittag bei, während der er von der Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler als neuer Intendant der Wiener Festwochen vorgestellt wurde.Hans Klaus Techt/APA

Der Schweizer Theaterleiter, Regisseur und Autor Milo Rau übernimmt ab Juli 2023 als Intendant der Wiener Festwochen die künstlerische Leitung, sein Vertrag ist auf fünf Jahre anberaumt, meldet die Stadt. Die kommende Spielzeit wird noch von seinem Vorgänger Christophe Slagmuylder künstlerisch verantwortet. Der 1977 in Bern geborene Rau leitet seit 2018 das Nationaltheater Gent und ist sein Amt damals mit einem Manifest angetreten, nach welchem etwa auf der Probe mindestens zwei Sprachen gesprochen werden müssen, zwei Mitspieler pro Projekt keine professionellen Schauspieler sein dürfen und ein Viertel der Probenzeit außerhalb des Theaters stattfinden muss.

Rau studierte Soziologie, Romanistik und Germanistik in Paris, Berlin und Zürich und entwickelte seit 2002 über 50 Theaterstücke, Filme, Bücher und Aktionen, die auf allen wichtigen Theaterfestivals liefen und durch mehr als 30 Länder tourten. Er steht für ein recherchegetriebenes Theater, das sich in die Wirklichkeit einmischt. Mit seinen hochpolitischen und teilweise aktivistischen Projekten ging er an Krisen- und Konfliktorte, um dort etwa durch Tribunale Gerechtigkeit und Versöhnung herbeizuführen.

Unter anderem rekonstruierte Rau minutiös die Verurteilung und Erschießung des Ehepaars Ceausescu („Die letzten Tage der Ceausescus“), befasste sich mit dem ruandischen Völkermord-Radio („Hate Radio“), dem norwegischen Terroristen Anders Behring Breivik („Breiviks Erklärung“) oder organisierte mehrtägige Justiz-Spektakel („Die Moskauer Prozesse“, „Die Zürcher Prozesse“, „Kongo Tribunal“). Um sein 2017 zum Theatertreffen eingeladenes Stück „Five Easy Pieces“, in dem Rau Kinder den Kindermörder Marc Dutroux verkörpern ließ, gab es Streit. Milo Rau inszeniert auch für die Schaubühne, seine nächste Arbeit – „Das Philoktet-Syndrom“ – ist für Juni geplant. Eine Zeit lang war er Kolumnist der Berliner Zeitung und hatte zuletzt in St. Gallen für Schlagzeilen gesorgt, wo er sich für die Rückgabe der Mumie der altägyptischen Priesterin Schepenese einsetzte.

Rau hat sich den Angaben in der Pressemitteilung zufolge gegen 35 Mitbewerber durchgesetzt. Zur sechsköpfigen Findungskommission gehörten unter anderem die ehemalige Burgtheater-Direktorin Karin Bergmann und der Intendant der Berliner Festspiele Matthias Pees.

Die 1927 gegründeten und nach dem Krieg 1951 neu gegründeten Wiener Festwochen finden alljährlich an fünf bis sechs Wochen im Mai und Juni statt und versuchen traditionsgemäß ein vielfältiges Programm mit glamourösen Highlights und innovativen Formaten. Es wird zu beobachten sein, ob Milo Rau diese Vielfalt auf das eigene Schaffen fokussiert, es politisiert und den Glamourfaktor reduziert. In seinem Zitat in der Pressemitteilung möchte er diese Bedenken ausräumen: „Ich kenne keine andere Stadt, die so brennt fürs Theater wie Wien und freue mich deshalb unglaublich über meine neue Aufgabe“, so Rau. „Ich kann es kaum erwarten, an die große Tradition der Wiener Festwochen anzuknüpfen und ein mythisches, gewaltiges, umstrittenes Theater-Fest zu schaffen. Es sollen Festwochen gemeinsam mit allen und für alle werden: ein vielstimmiges, formal diverses, leidenschaftliches und kämpferisches Welttheater. Ein Fest für Wien und die Welt.“