Ein letztes Rois-Trüffel am DT: „Liebe, einfach außerirdisch“

Sophie Rois und René Pollesch verabschieden sich mit der Nachholpremiere „Liebe, einfach außerirdisch“ vom Deutschen Theater Berlin.

Sophie Rois und Trystan Pütter in „Liebe, einfach außerirdisch“ am Deutschen Theater Berlin
Sophie Rois und Trystan Pütter in „Liebe, einfach außerirdisch“ am Deutschen Theater Berlinwww.imago-images.de

Wieder geht eine Saison zu Ende, der Lockdown und Corona-Ausfälle das Leben schwer machten. Und dann, ganz zum Schluss, tänzelt plötzlich doch noch eine verschobene Premiere über die Bühne, deren Munterkeit nichts von den Mühen ihrer Entstehung merken lässt. Und das vor allem der unverwüstlichen Bühnenkraft und Spielfreude seiner Protagonisten Sophie Rois und Trystan Pütter wegen, die zusammen mit Kotbong Yang an diesem Abend aus dem unendlichen Textbausteine-Fundus von René Pollesch ein souveränes Komödienspiel mit sich selbst zelebrieren. Ein kleines Tortenstück, das bestens hineinpasst in die „Konditorei“ (Frank Castorf) an der Schumannstraße.

Leicht verschnupft reagierten manche im Vorfeld, weil ein profilbewusster Intendant der Volksbühne doch bitte nicht im Deutschen Theater zu inszenieren habe. Normalerweise natürlich nicht, doch abgesehen davon, dass etliche Produktionen des bis vor Kurzem noch frei flottierenden Regisseurs Pollesch seit 2017 sowieso am DT laufen (apropos Profil), erfüllt dieses letzte Stück schlicht einen Vertrag. Was ähnlich bei Sophie Rois ist, die nach ihrem vierjährigen DT-Interim im Herbst an die Volksbühne zurückkehrt. Ein letztes Rois-Trüffel also noch im Programm.

Als das Stück im Januar herauskommen sollte, trug es noch den verschwenderischen Titel „So billige Träume. Und so gut“. Nur wenige Tage vor der Premiere wurde es coronabedingt abgesagt und taucht nun als „Liebe, einfach außerirdisch“ wieder auf. Was zwischendurch mit Polleschs Hang zu den billigen Träumen passiert ist, kann nicht eruiert werden. Viel Zeit zum Umarbeiten und Neuprobieren des bereits im Winter fertig geprobten Stücks gab es jedenfalls nicht, nur eine Woche Aufwärmzeit. Der aktualisierte Titel um die „außerirdische Liebe“ aber trifft das, was nun zu sehen ist, weit direkter, Träume kommen nicht vor.

Trystan Pütter hat als Dr. Albright eine superschnelle Strahlung entwickelt

Und doch führt das kleine Wechselspiel um den Titel und was er (nicht) bezeichnet auch schon hinein ins Thema dieses Abends. Denn es geht um fremde Galaxien, die sich in Gestalt zweier außerirdischer Gesandter und eines irdischen Physikers begegnen. High-Commander Sophie in rot glitzerndem Paillettenkleid und ihr Informationsoffizier Kotbong in silbrigem Businessdress finden sich plötzlich auf dem „drittklassigen Planeten Erde“ direkt vor dem Labor Dr. Albrights (Pütter) wieder, der eine Radarstrahlung entwickelt hat, die sie zur Rettung ihres eigenen Planeten abzustauben gedenken. Diese Strahlung nämlich ist schneller als das Licht und kann daher Energien, also auch Informationen und Wesen, in kürzester Zeit von Planet zu Planet, ja von Galaxie zu Galaxie transportieren. Man könnte sagen: Es ist die Übertragungssubstanz schlechthin. Das Supervehikel – auch zwischen zwei einander so fernen Galaxien wie Denken und Handeln, Sprechen und Meinen.

Natürlich reisen die zwei Fremdlinge, die wenig von der Erde verstehen, incognito und so entspinnen sich amüsant absurde Konfrontationen und erhellende Missverständnisse. Vor allem was die besondere Strahlung zwischen Lebewesen selbst angeht, die die einen „Sex“, die anderen „Liebe“ nennen. Zu allem Überfluss ist das Labor Dr. Albrights ein Leuchtturm, der unverschämt phallisch auf der Bühne (Barbara Steiner) steht und so die alles in der Schwebe haltende Frage nach direktem Ausdruck oder metaphorischer Konnotation verkörpert, um die der Abend kalauert, blitzt und flackert. Gleich zu Beginn tauchen Rois und Pütter ganz oben an der Balustrade auf, irgendwie beseelt eine Zigarette rauchend und fragen, wie sie dort auf dem Turm nun wohl wirkten: eindeutig „vulgär“ (sie hatten gerade Sex) oder „jugendfrei“ (sie rauchen einfach)? Und sind sie vom zweiten Rang aus überhaupt zu sehen? Nein!

So drehen sich die Worte in Mündern und Köpfen dutzendfach gegeneinander, lavieren zwischen realer Bedeutung und gedeutetem Phantasma (Zizek) und schicken ihre begriffsstutzigen Redner treppauf, treppab in die Verwirrung. Will man Kaffee, wenn man zum Kaffee einlädt, oder Sex? Rois’ Liebe zum Volkstheater kommt hier wunderbar auf Tour und bleibt doch immer genau, wobei die herrlichste Szene zwischen ihr, Pütter und einem Stück Torte stattfindet. Muss man selbst sehen.

Liebe, einfach außerirdisch am Deutschen Theater: 7., 9., 10.7., Tel.: 030 28441225