Headbanging und lesbische Lust: Die Tanztage Berlin sind zurück

Das von Mateusz Szymanówka für die Sophiensäle kuratierte Tanzfestival speckt das Programm ab und nimmt sich Zeit. Die Entschleunigung tut allen gut.

Xenia Koghilaki eröffnete mit „Bang Bang Bodies“ die Tanztage Berlin.
Xenia Koghilaki eröffnete mit „Bang Bang Bodies“ die Tanztage Berlin.Mayra Wallraff

Festivals sind eigentlich Anlässe, zu denen sich die Zeit staucht: Vorstellung um Vorstellung reihen sich aneinander und der Anreiz ist, in wenigen Tagen so viel wie möglich zu sehen. Von dieser Logik der Verdichtung wenden sich die Tanztage Berlin in den Sophiensälen bewusst ab. Kurator Mateusz Szymanówka legte schon bei den Planungen für seine erste Edition 2021 einen Fokus auf die Arbeitsbedingungen im Tanz. Oft entstehen Produktionen unter hohem Zeitdruck und mit wenig Geld. Bisweilen war das auch bei den Tanztagen so. Mehr Zeit und höhere Honorare für die Künstler:innen lautet hingegen Szymanówkas Credo. Dafür gibt es etwas weniger Programm. Aber alle, auch die Technik oder der Einlass, können entspannter arbeiten.

In den letzten beiden Jahren vereitelte Corona das Vorhaben entspannteren Produzierens. 2021 verhinderte ein Lockdown die Live-Version der Tanztage. Und auch 2022 war ständiges Umplanen noch Alltag. Dieses Jahr verläuft bislang alles wie gewünscht beim traditionellen Jahresauftaktfestival für den Choreografie-Nachwuchs. Und Mateusz Szymanówka freut sich über ein volles Haus. An seiner Entscheidung für Entschleunigung und Fürsorge hat er festgehalten: „Für mich ist klar, dass man diese Themen regelmäßig behandeln muss, in unterschiedlichen Formaten“, sagt er. Konsequent ist das, nicht jedes Jahr einen neuen Trend auszurufen. Also wird in Workshops hinter den Kulissen an Lösungen gearbeitet, konkrete Ideen hat eine von Szymanówka und der Choreografin Kasia Wolińska initiierte Arbeitsgruppe kürzlich in der Online-Broschüre „Tanz(en) in Berlin – Eine Toolbox für eine bessere Arbeitskultur in der freien Tanzszene“ veröffentlicht.

Marga Alfeirão kippt mit dem Duett „Lounge“ nie aus der Kunst.
Marga Alfeirão kippt mit dem Duett „Lounge“ nie aus der Kunst.Mayra Wallraff

Auch auf der Bühne ging es bei der Eröffnung am vergangenen Donnerstag um Erschöpfung und Entspannung. Dem Headbanging widmete sich Xenia Koghilaki mit ihrer Co-Performerin Luisa Fernanda Alfonso in „Bang Bang Bodies“. Fast eine Dreiviertelstunde wippen sie hinter ihren Haarvorhängen pausenlos mit den Köpfen, zu einer kurzen, heftigen Metalsequenz und dann in Stille. Reduziert und sehr komisch ist dieses monotone, schweißtreibende Ritual: Irgendwann dreht sich eine der beiden eine Zigarette, legt eine Binde ein und knabbert Chips, den Erschütterungen ihres Körpers durch das Headbanging zum Trotz. Die eigentlich völlig disruptive Bewegung muss ertragen werden – und daraus gilt es, das Beste zu machen.

Fokussiert arbeitet auch Marga Alfeirão im daran anschließenden Duett „Lounge“. Mit aufreizenden, minimalen Bewegungen von Hüfte und Hand markieren die Choreografin und die Tänzerin Mariana Benengue gegenseitiges Masturbieren. Abstrahiert und auf Abstand feiern sie die lesbische Lust. Sind sexy und cool, kippen nie aus dem künstlerischen Kontext. Und wirken aufregend präsent in ihren Körpern, die sinnlich fühlend Kontakt zur Welt aufnehmen. Eine gelungene Doppelpackung zum Auftakt der Tanztage 2023.

Traditionelle Wurzeln bei Gaucho-, Kreis- und Drehtänzen

Weniger packend ist das zweite Doppel, das am Dienstag folgte. Rocio Marano widmet sich in „Matria – Motherland“ dem argentinischen Malambo. Der Gaucho-Tanz beruht auf einer ausgefeilten Technik aus Schritten, Stampfen und Kicks, entstanden ist er während der Kolonialisierung des Landes im 19. Jahrhundert. Marano und ihre Kollegin Ángela Muñoz verwandeln sich selbstbewusst den männlich geprägten Stil an. Barbusig variiert Marano das Schrittmaterial, während Muñoz dazu auf der Bombo legüero trommelt. Rhythmisch ist das weder so präzise noch so dynamisch, wie man sich das im Original vorstellen kann. Die Performance wirkt dadurch etwas unentschieden.

Auch „To Be a Fish in a Raki Bottle“ von Elvan Tekin hat noch etwas Skizzenhaftes – was einem Nachwuchsfestival wie den Tanztagen durchaus entspricht. Tekin bezieht sich auf ein Gedicht von Orhan Veli Kanik, „Eskiler Aliyorum“ (zu Deutsch: Ich kaufe Lumpen). Der Fisch in der Flasche gilt als Ausdruck des Sehnens nach einer Ausflucht. Im Alkohol zu schwimmen ist ein rauschhafter, nicht ungefährlicher Zustand für ein fragiles Wesen: Was für ein Sinnbild der menschlichen Existenz, zumal in einem Land wie der Türkei, in dem politische Konflikte den Alltag prägen.

Elvan Tekin, in die zarten Farben von Goldfisch und Koikarpfen gekleidet, bezeichnet ihr Solo als emanzipatorisch und von der kurdischen Frauenbewegung inspiriert. Aber ihre Bewegungen verbleiben in den Grenzen traditioneller Kreis- und Drehtänze. Ein Widerspruch, der auch ihr Solo Kraft kostet. Doch sehenswert ist es allemal.

Tanztage Berlin. Noch bis 21. Januar in den Sophiensälen, Karten und Programm unter Tel.: 030 2835266 oder: tanztage-berlin.sophiensaele.com