Mit blutender Wucht: Berliner Theaterpreis für Sivan Ben Yishai

Die in Israel geborene, seit über zehn Jahren in Berlin lebende Theaterkünstlerin Sivan Ben Yishai wird zu Recht mit dem Theaterpreis der Stadt geehrt.

Die israelische, in Berlin lebende Theaterautorin und Performerin Sivan Ben Yishai
Die israelische, in Berlin lebende Theaterautorin und Performerin Sivan Ben YishaiMax Zerrahn/dpa

Die in Berlin lebende Dramatikerin und Performerin Sivan Ben Yishai erhält den diesjährigen Theaterpreis Berlin, das teilen die Stiftung Preußische Seehandlung und das Theatertreffen mit, in dessen Rahmen der Preis im Mai überreicht wird. Ben Yishai, so heißt es in der Jury-Begründung, sei wie „ein Komet am Firmament der deutschsprachigen Theaterlandschaft“ erschienen. Das kann der Theaterkritiker der Berliner Zeitung nur bestätigen, denn auch er hat schon das ein oder andere Mal den Kopf in Inszenierungen von Ben Yishai erst in den Nacken gelegt, staunend über die direkte Wucht und die schonungslose Grellheit der Sprache, und dann eingezogen, in Erwartung eines Aufpralls und einer Katastrophe.

Die in 1978 Tel Aviv geborene Schmerztexterin kennt keine Zurückhaltung, keine ironische Raffinesse und kein kleines Besteck. Sie wühlt sich in die finsteren und wunden Gräben von Daseinskonflikten, duldet keine falsche Hoffnung, keinen billigen Trost. In ihren Stücken blutet die Wunde der Shoah noch Generationen später, auch bei der Dramatikerin selbst, wie in „Wounds Are Forever (Selbstporträt einer Nationaldichterin)“. Die Eltern der von Ben Yishai selbst gespielten Protagonistin sehen den Gang ins Land der Täter mit großer, an Ekel grenzender Skepsis. „Was wollen diese Leute wirklich von dir?“, fragt die Mutter. „Sie bezahlen dich, um mit der Kippa auf dem Kopf dein Lamento herunterzubeten, ihren Antisemitismus mit deinem jüdischen Selbsthass zu füttern.“

Solidarität für Caryl Churchill

Die deutschsprachige Theaterlandschaft zeigt sich in den vergifteten Antisemitismus-Debatten oft hilflos und bedürftig und greift mit allem, was sie hat, zu dieser unerschrockenen und klaren Stimme, die sich zuletzt auch für Caryl Churchill erhoben hat. Churchill sollte Ende vergangenen Jahres mit dem Europäischen Theaterpreis geehrt werden, den man ihr dann samt den 75.000 Euro Preisgeld vor der Nase doch wieder absprach, weil ihr BDS-Nähe attestiert wurde. Außerdem warf man ihr vor, etwa in ihrem Stück „Seven Jewish Children. A Play For Gaza“ antisemitische Argumentationsmuster zu reproduzieren. Das trifft formal zu, klammert aber die Absicht aus und greift mithin kunstfeindlich vor. Ben Yishai und ihr Kollege Noam Brusilovsky solidarisierten sich, indem sie das Stück in der digitalen Öffentlichkeit vorlasen und so der Diskussion, die doch längst weitergejagt war, erst im Nachhinein eine Grundlage zu schaffen versuchten.

Aber wie gesagt, Sivan Ben Yishais Stimme und ihre Stücke finden Gehör. Sie lebt seit 2012 in Berlin, inszenierte 2015 eigene Stücke beim Deutsch-Israelischen Zukunftsforum und im Radialsystem. 2017 wurde ihr „Your Very Own Double Crisis Club“, der erste Teil ihrer Tetralogie „Let the Blood Come Out to Show Them“, bei den Autorentheatertagen am Deutschen Theater uraufgeführt. Ihre Stücke wurden in Berlin am Gorki, in Konstanz, Helsinki, Luxemburg, Tel Aviv und New York inszeniert. Seit 2019 ist Sivan Ben Yishai Hausautorin am Nationaltheater Mannheim. Für „Wounds Are Forever“ erhielt sie 2022 den Mülheimer Dramatikpreis, im selben Jahr wurde sie in Theater heute zur Dramatikerin des Jahres gewählt, sie war im vergangenen und in diesem Jahr zum Theatertreffen eingeladen.

Sivan Ben Yishai bildet mit ihren flächigeren und appellierenden Texten einen Kontrast zu den Bühnenwerken, die die ebenfalls aus Israel nach Berlin gekommene Yael Ronen jeweils mit den beteiligten Ensembles verfasst und die viel näher am konventionellen, dialogischen Theater sind. Berlin kann froh und der Geschichte dankbar sein, dass es ein künstlerisches Zuhause für diese kreativen, wütenden, mutigen Stimmen bietet.