Selbstentfaltung oder Selbsterhalt: „Beethoven 7“ von Sasha Waltz

Die Choreografin Sasha Waltz findet im Radialsystem für ihr neues Stück zu Beethovens Siebter einen grandiosen Aufschlag, kann dann aber die Höhe nicht halten.

Sasha Waltz und ihre Compagnie suchen mit Beethoven nach der Freiheit.
Sasha Waltz und ihre Compagnie suchen mit Beethoven nach der Freiheit.Sebastian Bolesch

Am Anfang gelingt es. Sasha Waltz hatte sich einiges vorgenommen für ihren Abend „Beethoven 7“ im Radialsystem. Beethovens siebte Sinfonie vertanzen und dabei einen thematischen Bogen von den gesellschaftlichen Umbrüchen der Entstehungszeit, des frühen 19. Jahrhunderts, in die Gegenwart schlagen. Vom Scheitern einer Revolution damals zum auch heute virulenten Gefühl des Verlusts an Freiheit. Was passiert, fragen Sasha Waltz und ihre 14 Tänzer mit Beethoven, wenn die individuelle und kollektive Selbstentfaltung von der Notwendigkeit der Selbsterhaltung überlagert wird?

Erst einmal schießt der chilenische Komponist Diego Noguera mit „Freiheit/Extasis“ als einstündiges Präludium einen postapokalyptischen Beethoven-Kommentar durch die Körper nicht nur der Tänzer, sondern auch der Zuschauer. Ein unendlich monotones, elektronisches Rauschen, Sirren und Dröhnen. Dazu reptilienhaft zuckende Alien-Tänzer im wabernden Nebel auf der Bühne. Irgendwo, auf einem eigentlich unbewohnbaren, fremden Planeten. Einige gute Szenen zwischendurch. Etwa, wenn diese mutierten Wesen zu einem Klumpen mit verzerrten Gesichtern zusammenschmelzen – als wären sie von einer Sekunde auf die andere ihres Lebens beraubt und auf ewig zu einer erstarrten Masse geronnen. Aber erst einmal macht diese Stunde eher ratlos.

Dann aber, nach der Pause, erklingen die ersten Takte von Beethovens Siebter, und die Tänzer finden sich leichtfüßig, verspielt und durchaus auch selbstverliebt zu vielfältigen Reigen zusammen. Eine Gesellschaft im Glück, und doch schwebt eine Bedrohung über ihnen und schwingt hinein in diese lichten, ahnungslosen Körper. Eine Bedrohung, die durch den Prolog ganz und gar präsent ist.

Wie Sasha Waltz hier zum ersten Satz die verschiedenen Klangmotive mit ihren vielen Varianten und Umkehrungen in Tanz verwandelt, ist meisterhaft. Wenn große Musik groß vertanzt wird, erschließen sich auch im Hören andere Dimensionen. Das ist es, was hier passiert.

Leider hält Sasha Waltz das für die anderen drei Sätze nicht durch. Zu Beginn des zweiten Satzes, wenn die Tänzer nach einem kurzen Abgang statt in flirrend leichten Kleidern nun in schweren schwarzen Röcken und Hosen erscheinen, findet sie noch den richtigen Zugang für das Dunkle und das Beharren in der Musik. Aber auf ihr Thema, auf die Frage, was es bedeuten kann, wenn an die Stelle von Selbstentfaltung die Notwendigkeit von Anpassung tritt, darauf haben Waltz und ihre Tänzer keine Antworten gefunden. Es ist zwar immer noch alles durchaus anspruchsvoll choreografiert, hält aber Beethovens Musik nicht stand. Und so werden das eine wie das andere, der Tanz und die Musik, zunehmend blass. Schade.

Sasha Waltz & Guests: Beethoven 7, 12.3., 18 Uhr im Radialsystem