Wortgemetzel auf der Suche nach Humor: Hesses „Steppenwolf“ am DT
Der Romanautor und erfahrene Dramatiker Thomas Melle hat den Roman von 1927 für das Heute verwandelt. Regie führte Lilja Rupprecht.

Harry Haller ist ein sonderbarer Kauz: Im Geist groß ausgestattet, versammelt er das Wissen von Jahrhunderten, im Leben aber ist er kaum weiter als ein Kind. Ein verkappter Faust im Grunde, was die lebenskluge Barschönheit Hermine auch sogleich erkennt und ihn „auf dumme Art schlau“ nennt. Sein Erfinder Hermann Hesse fand den Ausdruck „Steppenwolf“, um die eitle Weltverachtung dieses Harry noch weiter zu fassen: seine menschenfeindliche Unbedingtheit und radikale Sehnsucht nach „Echtem“, zeitlos Wahrem, die dem Jagdtrieb eines Tieres eher gleicht als dem losen Blick eines Menschen.
Harry hasst alles Oberflächliche, Mittige, Bürgerliche und doch liebäugelt er beständig mit eben dem, hält sein unruhiges „Ich“ in bürgerlichem Goldrahmen und zerstört es doch im nächsten Moment. Er ist die Zerrissenheit schlechthin und darin die Krankheit seiner Zeit, so Hesse 1927, im Entstehungsjahr seines Romans. Und so auch Autor Thomas Melle heute, dessen Dramatisierung dieses Zwischenkriegsphantoms von Aktualität strotze und auf die Bühne gehöre.
Der Bürgerschreck ist heute Musikkritiker
Einfacher gesagt als getan, denn obwohl sich Melle als geschickter Bearbeiter alter Stoffe bereits vielfach ausgezeichnet hat, entfaltet diese „Steppenwolf“-Überschreibung nicht wirklich große Strahlkraft oder Dringlichkeit. Zu dualistisch veraltet scheint der eitle Nietzscheaner und kulturpessimistische Bürgerschreck Harry heute, wo die „Bürgerlichkeit“ so breit gezogen wird wie die Welt rund ist und freakige sowie emanzipatorische Lebenskonzepte darin, Fake, Rausch und Wirklichkeit so eng beieinander liegen, dass der Steppenwolf sein Revier erst suchen müsste.
Und dennoch hat Melle aus Hesses Harry ein durchaus modernes Mischmasch-Ich gespickt. Den alternden Raver und Jazz hassenden Musikkritiker hat die Zeit überrannt, seine Welt-und-ich-verschmelzende-Techno-Utopie der Neunziger ist im woken Parzellen-Denken der Gegenwart passé.
Dass dieser Harry trotzdem schwer durchkommt, liegt an Lilja Rupprechts zerfasernden Inszenierung im DT, die sich nicht entscheidet, um was es ihr gehen soll. Sie kreist um ein imposantes Bühnengerüst aus skelettierter Bürgerhausfassade, Wolfsbau und Imbissbude (Christina Schmitt), produziert dabei zu viel Leerlauf und komödiantisch überreizte Nummern. Dass jeder aus dem siebenköpfigen Ensemble von Manuel Harder über Natali Seelig bis Jonas Sippel und Elias Arens seinen Harry gibt und Satzfetzen fürs Poesiealbum hinterlässt, ist zweifellos die naheliegendste Entscheidung.
Sehr rührend wird es, wenn Helmut Mooshammer als trauriger Raver vor einem sich langsam ins Licht bohrenden Zeitloch steht, schüchtern die Hüften wippen lässt und von verlorener Utopie träumt. Katrin Wichmann gibt mit ihrer burschikosen Eleganz der Geliebten Hermine dagegen festen Stand, während alle am Ende mit aufgeblasenen Wortgemetzeln durch eine Erzählhölle streifen, in der Harry die Kunst des Humors lernen soll. Doch all das brabbelt vor allem vor sich hin. Humor, weit weg.
Deutsches Theater, wieder 15., 18.5. und 19.6., Tel.: (030) 28 44 12 25