Tod von Andy Fletcher: Was soll nur aus Depeche Mode werden ohne ihn?
Andrew Fletcher war der Mann im Hintergrund, der Anti-Star. Doch für Depeche Mode war er unverzichtbar. Ein Nachruf.

Ich bin traurig. Das muss ich wirklich sagen, als Depeche-Mode-Fan vielleicht nicht der ersten, aber doch der zweiten Stunde. Andy Fletcher ist tot, gerade mal 60 Jahre ist er alt geworden. Das ist nicht fair, und es fühlt sich surreal an. Depeche Mode sind mit Abstand die wichtigste Band in meinem Leben, die Synthie-Popper aus dem englischen Basildon haben mich durch meine gesamte Jugend in den Neunzigerjahren begleitet, sie haben mich zum Weinen gebracht und anderntags meine Tränen getrocknet.
Depeche Mode, das ist Musik, die man fühlen kann. Musik fürs Herz, für schwere Stunden. Wer traurig ist, wird bei Depeche Mode noch trauriger, kann sich reinfallen lassen in seinen Schmerz.
Andrew Fletcher: Die Bühne überließ er den anderen
Bei uns in der Schule stand die halbe Schülerschaft auf Depeche Mode, alle Jungs sahen entweder aus wie Frontmann Dave Gahan oder wie Keyboarder Alan Wilder. Naja, sie versuchten zumindest, so auszusehen. Ab und zu war auch mal eine Martin-Gore-Kopie dabei. Aber keiner sah aus wie Andrew Fletcher. Alle mochten „Fletch“, keine Frage, aber er hatte nicht die Strahlkraft des charismatischen Gahan, die Coolness von Wilder, die Exzentrik von Gore. Fletcher, der rothaarige Mann aus Nottingham, stand hinter seinem Keyboard und werkelte still vor sich hin. Die Bühne überließ er den anderen.

Seine Zurückhaltung war wichtig. Eine Band funktioniert nun mal nicht, wenn jeder die Rampensau sein und in der ersten Reihe stehen will. Bei Depeche Mode gab es schon genug Lichtgestalten, die Präsenz auf der Bühne und abseits davon einforderten.
Er sei „der große Kerl im Hintergrund“, sagte Fletcher 2013 in einem Interview. Manchmal, das gab er zu, sei es frustrierend, nicht ernst genommen zu werden. Es gebe da ein Missverständnis, dass in Gitarrenbands echte Männer Abend für Abend an echten Instrumenten arbeiten, während in einer Synthesizer-Band wie Depeche Mode niemand arbeite, weil alles Maschinen seien. „Aber das ist Quatsch.“
Fletcher organisierte die Band und hielt Depeche Mode zusammen
Für Depeche Mode war Andy Fletcher bei all seiner Zurückhaltung ein unverzichtbarer, ja ein entscheidender Part. Er war nicht der kreative Kopf, er schrieb keine Songs, aber er kümmerte sich ums Geschäftliche, organisierte die Band und hielt sie zusammen. In schwierigen Zeiten, als Dave Gahan und Martin Gore zu Drogen und Alkohol griffen, bewahrte er einen kühlen Kopf.
Nach dem Ausstieg von Alan Wilder im Jahr 1995 waren die Musiker nur noch zu dritt, da brauchte es einen Ruhepol. Einen Mann der Vernunft. Einen wie Fletcher. Diese Rolle forderte ihm viel ab: Er hatte selbst mit Depressionen zu kämpfen; 1994 begab er sich in Behandlung und musste für mehrere Monate ersetzt werden.
Doch er kehrte zurück zum Projekt seines Lebens. Und er vermittelte zwischen seinen Bandkollegen, wenn diese mal wieder stritten, wer wie viele Songs zum neuen Album beisteuern darf. Ohne „Fletch“, das kann man wohl annehmen, würde es Depeche Mode nicht mehr geben. Anfang der Neunziger waren die Spannungen zwischen Dave Gahan und Martin Gore so groß, dass eine Trennung drohte. Doch man raufte sich wieder zusammen, immer wieder, 42 Jahre lang, bis heute.
Nun fragen sich die Fans zu Recht, was aus Depeche Mode wohl wird, jetzt, wo Fletcher nicht mehr da ist. Der Mann, der als berühmtester Ein-Hand-Tastenspieler der Welt galt, der Mann mit dem „Herzen aus Gold“, wie ihm seine Bandkollegen auf Social Media nachriefen. Man kann den Schmerz, den sie fühlen, spüren. Wie soll das gehen, auf Konzerten, ohne den stoischen„ Fletch“ hinter seinem Keyboard? Man weiß es nicht.
Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich muss mir alte Depeche-Mode-Platten anhören und der Trauer ihren Lauf lassen.