TV-Kritik "Menschen bei Maischberger" zu Prostitution: „Haben sich jetzt alle einmal angeschrien?“
Fast zum Ende der Sendung rief Sandra Maischberger in die Runde: „Haben sich jetzt alle einmal angeschrien?“ Das Thema, das die Gemüter am Dienstagabend in ihrer Talkshow erhitzte, lautete: „Schluss mit käuflichem Sex: Kann man Prostitution verbieten?“
Eine Frage, die im ersten Moment absurd klingt, aber den Inhalt eines Appell aufnimmt, den die Feministin und Autorin Alice Schwarzer Ende Oktober initiiert hatte. Deutschland sei, so heißt es im Appell, mit dem Gesetz von 2002, dass Prostitution als legale Erwerbstätigkeit anerkannte, zur Drehscheibe für Frauenhandel und ein Paradies für Sextouristen geworden.
Reform des Prostitutionsgesetzes gefordert
Der Appell, gerichtet an die Bundeskanzlerin und den Bundestag, fordert unter anderem eine Reform des Prostitutionsgesetzes. Schwarzer wird ja ein guter Draht zu Angela Merkel nachgesagt, und so diskutierten Union und SPD umgehend in ihren Koalitionsgesprächen darüber. Mehr als 90 Prominente, darunter Senta Berger, Maria Furtwängler und Heiner Geißler sind Erstunterzeichner des Appells, der auch die Abschaffung der Prostitution fordert. Bei Maischberger sagte Schwarzer dazu: „Man muss politische Träume haben dürfen“. Sie wünsche sich eine Welt, in der Männer keine Frauen mehr kaufen wollen und können.
Unter Experten und in der Sexbranche stieß der Appell nach seiner Veröffentlichung nicht gerade auf Zustimmung. So lehnen unter anderem die Deutsche Aidshilfe und der Mitte Oktober gegründete Berufsverband für sexuelle und erotische Dienstleistungen die Forderung nach Abschaffung der Prostitution als unrealistisch ab.
Schwarzer wurde Denkfaulheit und Pauschalisierung vorgeworfen. Sie setze Prostitution und Menschenhandel, Armuts- und Zwangsprostitution permanent gleich und agiere zudem mit falschen Zahlen. Sie spricht in dem Appell von 700.000 Prostituierten in Deutschland. Seriöse Untersuchungen gehen hingegen von 300.000 bis 400.000 Prostituierten aus.
Maischberger gestand, die Redaktion habe die Hände ganz von Zahlen gelassen, weil sie meist nur auf Schätzungen beruhten. Trotzdem bewarfen sich die Gesprächsteilnehmer pausenlos mit Zahlen. So war umstritten wie viele der Prostituierten unter Zwang ihre Dienste anbieten: 60 oder bis zu 90 Prozent (Schwarzer). Wie viele Frauen aus Osteuropa stammen. Wie viele Freier eine Frau pro Nacht bedienen muss, drei oder zwanzig. Wie viel der Bordellbesitzer verdient, wie viel die Frau.
Maischbergers bekriegende Gäste
Die Gäste ergaben zwei Dreiergruppen, die sich geradezu bekriegten, unversöhnlich und unvermittelbar, oft lautstark. Manchmal war gar nichts mehr zu verstehen. Immerhin. Sandra Maischberger verlor nicht den Faden.
Ganz auf der Seite von Alice Schwarzer argumentierte, Kriminaloberkommissar Helmut Sporer aus Augsburg. Laut einer Umfrage der Zeitung Die Welt weiß die Stadt durch permanente Polizeirazzien genau, wie viele Prostituierte in den Bordellen arbeiten, nämlich 244. Diese Zahl nannte Sporer nicht, betonte aber mehrfach, dass er seit zwanzig Jahren in dem Milieu ermittle. Er gab Alice Schwarzer Recht, dass es seit der vollen Legalisierung von Prostitution 2002 einen permanenten Zustrom von Frauen aus Osteuropa gebe. Die Frauen arbeiteten unter großen Konkurrenzdruck zu Dumpingpreise. Er sprach sich für eine Strafverfolgung der Freier aus, wie sie es in Schweden gibt. Das würde ein Signal setzen.
Aus dem Milieu könne man nicht einfach aussteigen, versicherte die Ex-Prostituierte Jana Koch-Krawczak. Die junge Polin war im Alter von 15 Jahren von ihrem ersten Freund an einen Bordellbesitzer in Deutschland verkauft worden und hatte bereits in der Familie Missbrauch und Gewalt erlebt. Heute hilft sie in einer Beratungsstelle in Süddeutschland Prostituierten beim Ausstieg. Sie sagte, sie kenne nicht eine Hure, die sich freiwillig verkaufe.
Dem widersprach wiederum die Prostituierte und Mitbegründerin des Berufsverbandes sexuelle Dienstleistungen Amber Laine heftig. Sie betreibt ein Domina-Studio in Wuppertal und arbeitet selbst als Domina „mit zufriedenen Stammgästen seit zehn Jahren“. Optisch widersprach sie in heller Bluse und fast ungeschminkt jeglichem Klischee. Prostitution sei ein Beruf wie jeder andere, alle Verwandten und Freunde wüssten von ihrer Arbeit. Sie würde ein höchstpersönliche Dienstleistung auf Augenhöhe mit den Kunden erbringen, sagte Laine.
Sie wehrte sich dagegen, alle Sexarbeiterinnen der Szene zu Opfern zu stigmatisieren, Zwangsprostitution mit Prostitution gleichzusetzen oder gar selbst mit Menschenhändlern verglichen zu werden. Alice Schwarzer griff Laine immer wieder lautstark an: „Solche wie sie profitieren doch“. Genau wie der neben Schwarzer sitzende Bordellbetreiber Armin Lobscheid, der Geschäftsführer des „Pascha“ in Köln ist, eines der größten Bordelle in Europa. Er in Trachtenjacke und mit Binder hielt sich in der Diskussion eher zurück. Er erklärte, alle Frauen in seinem Haus gingen ihrer Tätigkeit freiwillig nach. Schwarzer bezeichnete ihn als white-collar-Zuhälter, der an den Frauen kräftig verdiene.
Nur Facetten der realen Prostitution
Auch die Vorstandsvorsitzende der Frauenorganisation „Terre des Femmes“ und Grünen-Politikerin Irmingard Schewe-Gerigk wurde immer wieder von Schwarzer und Sporer angegriffen. Sie verteidigte, dass von ihr mitinitiierte und mitbeschlossene Prostitutionsgesetz von 2002. Seitdem könnten Frauen sich sozialversichern, hob sie hervor - was bundesweit allerdings nur 40 Frauen und vier Männer getan haben. So richtig wollte sie nicht eingestehen, dass das Gesetz seine Absichten verfehlt hat.
Wenn erwachsene Menschen gegen Geld einvernehmlich Sex haben, müsse sich der Staat nicht einmischen, sagte sie. Eine Bestrafung der Freier würde nur dazu führen, dass sich die Arbeitsbedingungen für die Huren verschlechterten, wie man es am Beispiel von Schweden sehen könne. Wirklich notwendig wäre ein besserer Schutz vor Ausbeutung und strengere Kontrollen der Bordelle durch die Gewerbeaufsicht.
So verblieben bis zum Ende der Talkshow alle Gäste in ihrem Graben, und man bekam den Eindruck von einer komplett zweigeteilten Szene vermittelt. Die Facetten und fließenden Übergänge des Gewerbes, die sicher näher an der Realität sind, musste sich der Zuschauer denken.