Deutschland einig Krimiland: Brauchen ARD und ZDF über 100 Polizeireviere?

Über 300 Ermittler sind im Einsatz, beim ZDF machen Krimis zwei Drittel des fiktionalen Programms aus. Dabei kristallisieren sich klare Erfolgskriterien heraus.

Eine Szene aus „Tod am Rennsteig: Auge um Auge“: Vanessa Sun (Jing Xiang), Jan Kawig (Bernhard Conrad) und Annett Schuster (Kristin Suckow) in der Gerichtsmedizin
Eine Szene aus „Tod am Rennsteig: Auge um Auge“: Vanessa Sun (Jing Xiang), Jan Kawig (Bernhard Conrad) und Annett Schuster (Kristin Suckow) in der GerichtsmedizinSteffen Junghans/ARD

Dieser Serienmörder platziert seine Opfer stets an pittoresken Orten. Einen Kühlschrank mit einer Leiche stellt er unweit des Rennsteigs mit Blick auf die Wartburg-Stadt Eisenach ab. Die zweite Tote finden die Polizisten in der beliebten Drachenschlucht.

Auch die Ermittler der neuen ARD-Krimireihe „Tod am Rennsteig“ führen die Zuschauer gern zu Thüringer Sehenswürdigkeiten. Fall-Analytiker Jan (Bernhard Conrad) lebt auf einem idyllischen Fachwerk-Hof und geht zum Grübeln und Frühstücken in die Erfurter Severikirche. Während sich die ARD in der neuen Donnerstagsreihe auf die Region Erfurt konzentriert, hat das ZDF seine Thüringer Samstagsreihe „Theresa Wolff“ seit 2021 in Jena platziert. Die von Nina Gummich gespielte Rechtsmedizinerin begutachtete ihren letzten Toten direkt auf dem Marktplatz neben dem Bismarck-Brunnen.

Knapp 20 Krimireihen spielen in Sachsen

Dass zwei öffentlich-rechtliche Krimiserien in Thüringen angesiedelt wurden, ist kein Zufall. Denn zuvor war das Bundesland ein weißer Fleck auf der Krimikarte – nacheinander waren die Serie „Akte Ex“ in Weimar und die „Tatorte“ in Erfurt und Weimar eingestellt worden. Doch längst pochen nicht nur Zuschauer, sondern auch Landespolitiker darauf, dass ihre Region im fiktionalen Fernsehen angemessen vertreten ist. Schließlich bringen die Dreharbeiten nicht nur Beschäftigung vor Ort, sondern kurbeln auch den Tourismus an.

Im Osten sind der Unmut und die Forderungen gegenüber ARD und ZDF besonders hoch – Krimiserien vor Ort könnten besänftigen. Anfang Februar ließ die ARD ihre neue Vorabendserie „WaPo Elbe“ vom Stapel. Die vier Wasserschutzpolizisten sitzen in Pirna und kontrollieren den Fluss zwischen Dresden und tschechischer Grenze. Die Kamera-Drohnen führen gern die Landschaft mit dem Elbsandsteingebirge und Orten wie Schloss Pillnitz vor. Sachsen ist von den östlichen Bundesländern am präsentesten im Krimi: Hier sind sechs Teams vor Ort. Insgesamt gibt es auf diesem Feld kein Problem mit der Ost-Repräsentanz: Knapp 20 Krimireihen und -serien sind hier verortet.

Das ist ungefähr ein Fünftel aller Kripo-Teams von ARD und ZDF – sage und schreibe 100 verschiedene Dauerkrimis allein im deutschsprachigen Raum laufen derzeit in deren Programmen. Eine im Journal Media Perspektiven veröffentlichte Studie zeigte auf, dass der Anteil der Krimis am gesamten fiktionalen Fernsehen der größten deutschen Sender in den letzten Jahren stark gestiegen ist, nämlich von 37 Prozent 2012 auf 48 Prozent anno 2021. Dafür sind vor allem die Angebote der öffentlich-rechtlichen Sender verantwortlich. Bei der ARD nahmen die Krimis 11,6 Prozent der gesamten Sendezeit ein, 37 Prozent des fiktionalen Programms. Noch krimilastiger ist das ZDF: Hier bestehen fast zwei Drittel, nämlich 63 Prozent des fiktionalen Programms, aus Krimis, zugleich 23 Prozent der gesamten Sendezeit.

Nord reimt sich auf Mord

Die kriminell hohe Zahl von Dauerkrimis erklärt sich zum einen aus der regionalen Spreizung beliebter Reihen und Serien. So unterhält die ARD allein 20 verschiedene „Tatorte“, dazu fünf „Polizeirufe“. Stark ausgebreitet wurden die Ableger der Wasserschutzpolizei am Vorabend. Nach dem erfolgreichen Stapellauf der „WaPo Bodensee“ im Jahr 2017 folgten seither die „WaPo Berlin“, die „WaPo Duisburg“ und kürzlich die „WaPo Elbe“. Vorbild waren die „SOKOS“ des ZDF. Hier wurden zwar die Sonderkommission in München und Kitzbühel eingestellt, aber weiterhin agieren die Kripo-Teams in Wismar, Leipzig, Köln, Stuttgart, Potsdam, Hamburg, dazu in Wien und neuerdings in Linz.

Ein Blick auf die Krimilandkarte zeigt starke Konzentrationen: Manche Regionen sind beliebt, andere werden gemieden. Anhaltend populär sind Küstenkrimis. In Mecklenburg-Vorpommern spielen sämtliche Krimis an der Ostsee: „Der Usedom-Krimi“ und der „Polizeiruf“ in Rostock bei der ARD, die „Stralsund“-Reihe und die „SOKO Wismar“ im ZDF. Nord reimt sich bei den TV-Sendern auf Mord: So spielt „Nord Nord Mord“ im ZDF mit Peter Heinrich Brix auf Sylt, während „Nord bei Nordwest“ eine ARD-Reihe mit Hinnerk Schönemann aus Travemünde ist, nicht zu verwechseln mit „Morden im Norden“ – eine ARD-Vorabendserie aus Lübeck mit Sven Martinek.

Schier unschlagbar ist die Kombination von Wasser und Bergen. Bei ARD und ZDF ist das Ufer des Bodensees eine besonders mordträchtige Gegend. Neben der „WaPo Bodensee“ am Vorabend mit Floriane Daniel startete die ARD im vorigen Dezember den Donnerstagskrimi „Seeland – Der Krimi vom Bodensee“, während im ZDF schon seit 2014 Nora von Waldstätten und Matthias Koeberlin den „Toten vom Bodensee“ nachgehen. Daneben sind natürlich Großstädte wie Berlin, Hamburg und München bevorzugte Krimischauplätze. Noch gar nicht mitgezählt bei den rund 100 Standorten sind die Auslandskrimis der ARD, neuester Standort sind die Masuren.

Ein Heer von etwa 300 Schauspielern darf vor der Kamera ermitteln – manche tauchen an mehreren Orten auf. So ist Jan Josef Liefers populärer Pathologe im „Tatort“ Münster und zugleich Anwalt Viernau in den Elisabeth-Hermann-Krimis im ZDF. Martin Brambach spielt mal Kripo-Chef in der ZDF-Reihe „Unter anderen Umständen“ in Kiel, dann wieder im Dresdener „Tatort“. Auch Uwe Preuss ist doppelt vertreten: Als Kripo-Chef im Rostocker-„Polizeiruf“ und Vater der Dresdener „Tatort“-Kommissarin Winkler. Ulrich Noethen bekam nach dem Ende der Krimireihe „Neben der Spur“ beim ZDF sofort einen Anschlussjob: Seit Oktober spielt er die Hauptrolle im „Wendland“-Krimi.

Schauspielerinnen sind zwar nicht mehrfach vertreten, ansonsten aber sehr gut repräsentiert. In jeder Vierergruppe sind mindestens zwei Polizistinnen – und oft als Chefin, wie in den neuen ARD-Reihen „Tod am Rennsteig“ und „WaPo Elbe“. Komplett in Frauenhand sind die Ermittlungen in den neuen ZDF-Krimireihen „Mordsschwestern“ und „Katharina Tempel“.

Die regionale Verteilung kaschiert aber vor allem das Manko: Denn allzu viele Krimis sind dramaturgisch eintönig, die stereotypen Dialoge wirken oft wie von einer Chatbot-KI verfasst – aber wenigstens haben sie immer einen schönen Hintergrund.

Tod am Rennsteig: Auge um Auge. Donnerstag, 9. März, 20.15 Uhr, ARD