„Polizeiruf“ aus Magdeburg: Überall Psychos
Dieser Krimi ist von Traumata durchzogen. Zum Glück auch von exzellenten Schauspielern.

Der „Polizeiruf“-Vorspann mit den expressiv-aggressiven Farben und der schrillen Musik ist auch in der aktuellen Fassung seit 2019 immer noch eine Zumutung – während das immergleiche „Tatort“-Intro ein wohliges Gefühl der Vertrautheit erzeugt. Der Magdeburger Fall „Black Box“, der letzte neue Sonntagskrimi der ARD vor der Sommerpause, führt in den ersten Minuten das rot-grüne Farbeninferno und die kreischenden Klänge des Polizeiruf-Vorspanns fort, steigert beides sogar bis zur Schmerzgrenze.
In einem Zug sieht ein junger Mann (Eloi Christ), der gerade noch mit seinem Freund (Kai Müller) geschmust hatte, plötzlich rot, als sich ihnen gegenüber ein bulliger Typ hinfläzt und ohne Rücksicht laut telefoniert. Er schlägt dem Kerl mit dem Nothammer ein Loch in den Kopf und kann im Blutrausch gar nicht mehr aufhören. Ein ähnlicher Farbenrausch begleitet auch die Rückblicke der Kommissarin Brasch (Claudia Michelsen) auf ihren letzten Fall, der vor anderthalb Jahren unter dem Titel „Der Verurteilte“ lief. Sie war von einem Paar in einen Keller eingesperrt, misshandelt und mit dem Messer verletzt worden.
Nun muss sie vor Gericht aussagen, kann sich an vieles aber nicht erinnern und leidet an klaustrophobischen Zuständen. Prompt geht die ernste Vernehmung schief: Adam, der junge Täter, kann Brasch die Pistole entwenden, will sich erschießen und wird angeschossen. Viel Arbeit also für die Polizei-Psychologin (Susanne Böwe), die Brasch und den Zuschauern erklärt, warum eine tatbezogene Amnesie Fluch und Segen ist, warum schmerzhafte Erinnerungen im limbischen System in der Amygdala abgekapselt werden, warum die Erinnerungen generell so große Lücken haben – also auch eine Art Loch im Kopf. Mit diesem Thema hatte ja kürzlich schon der Münchener „Tatort“ gespielt.
Hypnose als Erinnerungshilfe
Mittels Hypnose entlockt die Expertin Adam rätselhafte Begriffe wie Casper und Krapp. Doch dann grätschen Adams Eltern dazwischen: Der Vater (Sven Eric Bechtolf) war mal Chef des LKA, seine Frau (Corinna Kirchhoff) ist eine angesehene Psychologin. Sie setzen Brasch unter Druck, kaufen eine falsche Zeugenaussage von Adams Freund und drehen mittels ihrer Anwältin die Nothammer-Tat zur Notwehr. Adam wird entlassen.
Der Krimi von Zora Holtfreter (Buch) und Ute Wieland (Regie) baut auf bewährte Muster: Dass nicht nur die Verdächtigen, sondern auch die Kommissare regelrechte „Psychos“ sind, ist ja mittlerweile fast Standard. Auch die Suspendierung von Brasch, die sich natürlich weiter mit Adams reichen Eltern anlegt, ist ein Krimi-Ritual, nicht nur in Magdeburg. Dennoch liegt dieser „Polizeiruf“ über dem Schnitt.
Zum einen bleibt die Frage, wo sich der rasende Adam und sein Opfer eigentlich begegnet waren, spannend bis zum Schluss und erweist sich als echtes Drama. Der Erschlagene war ein Vorbestrafter und in Heimen und bei Pflegeeltern aufgewachsen. Zum anderen werden die Auseinandersetzungen schauspielerisch auf hohem Niveau geführt. Wie Corinna Kirchhoff und Sven-Eric Bechtolf die Kommissarin mal umschmeicheln, mal bedrohen und schließlich anflehen müssen, das ist packend gespielt. Und mit dem zur Drehzeit erst 18-jährigen Eloi Christ in der Hauptrolle des Adam, der immer an der Grenze zum Suizid entlangschwankt, hat dieser Magdeburger „Polizeiruf“ eine echte Entdeckung zu bieten: Dieses Gesicht vergisst man nicht!
Wertung: 4 von 5 Punkten
Polizeiruf 110: Black Box, So, 3. Juli, 20.15 Uhr, ARD