Marina Weisband bei Anne Will: „Die Ukraine bekommt zu viel zum Sterben, aber zu wenig zum Leben“

Kommt die Panzerlieferung zu spät? Diese Frage wurde am Sonntag bei „Anne Will“ diskutiert. Publizistin Marina Weisband beklagte, dass der Westen den Krieg gar nicht schnell beendet sehen will.

Die Publizistin Marina Weisband (Grüne)
Die Publizistin Marina Weisband (Grüne)Jürgen Heinrich/Imago

Anne Will muss zu den Tagesthemen rüberschalten, als ihre Sendung am Sonntagabend gerade spannend wird. Es ist ja zurzeit nicht einfach, eine Talkshow zu finden, in der die Debatte um den Fortgang der Unterstützung an die Ukraine aus der Bundesrepublik irgendwie vorankommt.

Stattdessen wiederholt sich ein beständiges Gesprächsmuster: Dem Bundeskanzler wird vorgeworfen, Entscheidungen zu verschleppen, während ein anwesender Genosse sein Handeln als Besonnenheit verteidigt. Das kann man so und so sehen – in der Sache erfährt man auf diese Weise aber wenig.

Unterdessen herrscht in der Regel lagerunabhängige Einigkeit darüber, dass ein Ende des Angriffskrieges kommen muss, bei dem die Ukraine – möglichst – territorial unversehrt bleibt. Immer wieder hängen die Talkshows und ihre Gäste dabei an der Lieferung von konkreten Waffensystemen fest – mehr oder weniger hiervon, besser früher als später davon.

Zu Kriegsbeginn noch oft besprochen, wurde mit der Zeit die Frage verdrängt, wie das Ende dieses Krieges aussehen könnte. Und wann es kommt. Auf dem Weg dahin liegt nämlich die lagerabhängige Uneinigkeit und darin vielleicht eine Lösung. Doch die Diskussion bleibt zu oft aus.

Anne Will stellt ihren Gästen am Sonntagabend zunächst die Frage, ob der Beschluss der Lieferung von 14 Leopard-2-Kampfpanzern durch die Bundesregierung richtig war. Sie wurde vor weniger als einer Woche beschlossen. Ob der Bundeskanzler das Vertrauen der internationalen Partner durch seine Taktik – man kann es Abwägen nennen oder Zaudern – verspielt oder gar dazugewonnen habe?

Marina Weisband: Die Ukraine wird vom Westen am Tropf gehalten

In einem demokratischen Land halte sie es für ein Problem, sagt die Publizistin Marina Weisband (Grüne) dazu, dass sie die langfristige Strategie der Regierung nicht kenne. Seit Kriegsbeginn hangele diese sich von „roter Linie“ zu „roter Linie“ – von Defensivwaffen zu Mardern zu Panzern zu Kampfflugzeugen. Sie finde, dass die Ukraine vom westlichen Staatenbund an einem Tropf gehalten werde. Das Land kriege „zu viel zum Sterben, aber zu wenig zum Leben“.

Das Ziel der Bundesregierung und ihrer Verbündeten, so die Vermutung der Grünen-Politikerin: Die Ukraine solle den Krieg nicht verlieren, doch auch nicht zu schnell gewinnen – sodass Russland langsam ausblute. Eine fast zynische Vermutung. Lässt sie sich jedoch nicht auch übersetzen in die drängende Frage: Wie lange soll dieser Krieg noch dauern? Eine Frage, die sich in der Sendung wiederholt. Eine Frage, auf die es keine einhellige Antwort gibt, die zu stellen jedoch umso wichtiger ist.

Janine Wissler: Wie kann man Putin zu Verhandlungen zwingen?

Eine Antwort erhält auch die Linke-Parteichefin Janine Wissler nicht, als sie nach dem Ende dieses Krieges fragt. An diesem Ende müsse eine Verhandlungslösung stehen, pocht Wissler. Und fragt: „Aber wann ist das Ende?“ Und: „Wie kann man Putin an den Verhandlungstisch zwingen?“ Eine neue Antwort gibt auch sie in dieser Sendung nicht.

Militärexperte Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr München sagt, die Waffenlieferungen zögen den Krieg in die Länge, schieben ein Ende also in die Ferne, weil so die Verteidigung der ukrainischen Truppen möglich ist. Dies sei aus seiner Sicht das notwendige Übel. „Es geht darum, diesen Krieg zu verlängern, um mehr Menschen zu retten.“ Ein alter kriegsrechtlicher Widerspruch: Ist er legitim, der Krieg um des Friedens willen?

Georg Mascolo: Das Ende naht nicht

Auch der Journalist Georg Mascolo von der Süddeutschen Zeitung will über die Laufzeit dieses Krieges sprechen. Zwar sagt er: „Wladimir Putin ist aus meiner Sicht schon wieder gescheitert“, der Westen sei nicht auseinandergebrochen, es habe keinen „Wutwinter“ in der Bevölkerung gegeben, und auch der Widerstand der Ukraine bröckele nicht.

Ob es jedoch den Punkt gebe, an dem Putin erkennt, dass er so nicht siegen werde? „Ich fürchte nicht“, sagt Mascolo. Und so lautet seine Prognose: Das Ende naht nicht. Die „quälenden Fragen“ danach, wie die westliche Allianz die „große Auseinandersetzung“ (einen Nuklearangriff aus Russland) vermeiden und gleichzeitig die Ukraine weiter unterstützen könne – „sie werden uns noch sehr lange beschäftigen“. Doch wie lange ist lange? Und wie kann der Westen Putin dazu bringen, seine Niederlage selbst zu sehen? Wichtige Fragen, wenige Antworten.

Worauf sich Janine Wissler zum Ende der Diskussion die energische Zustimmung nicht nur vom Journalisten Mascolo einholt, ist ihre Kritik am Tonfall in den Forderungen nach mehr Waffen. So hätten etwa Auftritte und die Wortwahl einzelner Politiker die Debatte banalisiert. „Man muss auch in der Sprache mal schauen, dass man abrüstet“, sagte Wissler. So habe ein Grünen-Politiker sich mit Leoparden-Pullover fotografieren lassen und gefordert: „Befreit die Leoparden!“ Eine Verharmlosung von Kriegsmaschinerie. Auch deshalb seien die Möglichkeiten einer Unterstützung der Ukraine neben Waffenlieferungen zu kurz gekommen, sagt Wissler.

Carlo Masala: Wir haben es nicht in der Hand, wann Putin eskaliert

Und auch sie sagt: Es würden gerade so viele Waffen geliefert, dass die Ukraine nicht verliert, aber Russland eben auch nicht. Dann spricht Wissler die Befürchtung aus, die eigentlich den Balanceakt in diesem Krieg ausmacht: „Was macht eine Atommacht, wenn sie am Rande einer militärischen Niederlage steht?“

Aus Sicht des Militärexperten Masala gibt es da eine schnelle Antwort: Es gebe keine Logik. Auf die Offensive, die Russland im Frühjahr plane, müsse man mit Waffen reagieren. Denn: „Wir haben es nicht in der Hand, wann Putin eskaliert“, sagt Masala. Als da SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert noch einschiebt, dass es jetzt trotzdem keinesfalls eine „Jetzt-ist-auch-egal-Haltung geben“ dürfe, ist die Sendung vorbei. Und die Diskussion an ihrem offensten Punkt auch.