„Uns geht es gut“: Spannung ohne Auflösung
Längst ist die Stimmung sexuell aufgeladen, tiefe sehnsuchtsvolle Blicke wurden ausgetauscht, eine junge Frau schminkt sich die Lippen. Da ist ein Stöhnen zu hören, Ursprung unbekannt. Spekulationen drängen sich auf: Ähnliche Geräusche wie der Beischlaf produzieren auch sportliche Betätigung oder Raufereien.
Henri Steinmetz setzt in seinem Spielfilmdebüt „Uns geht es gut“ eine orgiastische Szene zwischen Jugendlichen an den Anfang. Einen Unterschied zwischen Sex, Kampf und Sport macht er dabei nicht. Die elektrische Spannung, die er gleich zu Beginn etabliert, ist eine der Konfrontation auf allen Ebenen. Es ist eine testosterongeladene, schweigsame Welt, in der nie ganz auszumachen ist, wo die Mutprobe an Grenzen stößt, wo Nähe für Intimität sorgt und wo sie zur Bedrohung wird.
In einer faszinierenden Darstellerleistung beschwört Franz Rogowski nach seinen Rollen in „Love Steaks“ und „Victoria“ die Möglichkeit eines Kinos des körperlichen Erlebnisses. Der von ihm gespielte Tubbie ist das Epizentrum von „Uns geht es gut“. Tubbie hält eine Gruppe jugendlicher Drifter zusammen, will sie ganz dicht bei sich haben und stößt sie zugleich ab. Die Erregungs- und Verstörungswellen, die von ihm ausgehen, geben den Takt für das gemeinsame Herumstreunen vor, ob im Wald, in einer Villa mit Pool oder in unendlich schicken Ruinen, die sich die Gruppe zu eigen macht.
Die Drifter sind hier Drifter und dürfen Drifter bleiben. Das ist selten genug: Kein Plot kommt ihnen in den Weg. Die Handlungsbruchstücke – eine Botox-spritzende Schönheitschirurgin, der Einbruch in die Villa, die Provokation eines Fremden, eine Episode sinnloser Gewalt gegen einen Mann – bleiben in jedem Augenblick als loses Gefüge erfahrbar.
Die elegische Bildgestaltung von Bernhard Keller lässt den Atem stocken, provoziert ein starkes, schönes Innehalten und Wachsamkeit. Die Anspannung will Suspense sein, aber ohne Ziel und ohne Auflösung. Es überträgt sich der Eindruck einer Welt, die von Weltschmerz und Angst getrieben ist und von der man kein Teil werden möchte. Unter der Hand ist die Fantasie von Gewalt und Herrschaft, die hier aufgerufen und bestätigt wird, in der filmischen Erfahrung bereits mit viel Zynismus aufgeladen, vor allem wenn die Inspiration durch frühe Filme von Michael Haneke so auf der Hand liegt wie hier. Gegen die Sorge, dass Empathie in dieser Konstellation verdeckt bleiben muss, wehrt sich Steinmetz aber sehr schön durch seine sensible Schauspielführung. Die weichen Gesichtszüge der Jugendlichen, die in einem Strudel aus Ziellosigkeit gefangen sind, können ihre Hoffnung, ihre romantischen Ideale, ihren Spaß nicht verbergen. Die Zärtlichkeit ihrer Verhältnisse übersetzt sich in ihre Handlungen gerade durch das, was nicht passiert.
Die Kämpfe, für die gestöhnt werden muss, verlieren mit der Zeit ihren Reiz. Ohne viel Aufhebens darum zu machen, zeichnet „Uns geht es gut“ eine Coming-of-Age-Geschichte, die indirekt das Loslassen der Konfrontationen herbeisehnt. Offensichtlich transparent wird das aber, wie so vieles hier, nicht. Die Handlungen lassen kaum Deutungen zu, und vor allem psychologische und intellektuelle Dimensionen werden auf sehr sparsame Weise angedeutet.
Unweigerlich stellt sich ein Moment der Verunsicherung oder Frustration ein: Was wurde hier ausgelassen, was erzählt uns der Film nicht, was enthält er uns vor? Vielleicht erklären diese Rätsel, warum der berühmt-berüchtigte Alan Smithee für das Drehbuch verantwortlich zeichnet. Es ist das Pseudonym für Autoren oder Regisseure, die ihren Namen von einem Werk zurückziehen. Auch das eine Seltenheit in Deutschland, wo jeder Credit wichtig ist. Es bleiben viele Fragen am Ende von „Uns geht es gut“, die in einer fundamentalen kulminieren: Ist der Film gescheitert? Falls die Antwort positiv ausfallen sollte, dann zwingend mit dem Zusatz: So schön scheitern nur die wenigsten!
Uns geht es gut Dtl. 2015. Regie: Henri Steinmetz, Kamera: Bernhard Keller, Darsteller: Franz Rogowski, Maresi Riegner u.a.; 93 Minuten, Farbe. FSK ab 16. Jonas Dassler