Vereidigung Barack Obama: Ohne Bibel geht es nicht
Frau Professor Bungert, Präsident Obama wird in diesem Jahr zweimal vereidigt. Was hat es damit auf sich?
Es wäre in den USA undenkbar, dass der offizielle Festakt zur Inauguration an einem Sonntag stattfindet. Damit nun das Land nicht ohne vereidigten Präsidenten ist, wenn der verfassungsmäßig festgesetzte Termin des Amtswechsels am 20. Januar auf einen Sonntag fällt, gibt es seit dem 20. Jahrhundert an diesem Tag eine Vereidigung im Weißen Haus im kleinen Kreis, am Montag wiederholt der Präsident seinen Schwur in aller Öffentlichkeit. Im 19. Jahrhundert hatte man den Amtseid auf Samstag vorverlegt – mit der seltsamen Folge, dass es einen Tag lang zwei vereidigte Präsidenten gab.
So viel Umstand mit Rücksicht auf den christlichen Ruhetag?
Offiziell sind Religion und Staat in den USA strikt getrennt. Aber die puritanische Tradition ist bis heute lebendig. Der Sonntag gehört dem Gottesdienst. Festivitäten sind verpönt, ebenso wie Alkoholgenuss. Damit hatten die deutschstämmigen Einwanderer immer besondere Probleme, denn bei einer sechstägigen Arbeitswoche blieb eigentlich nur der Sonntag, um in den Biergarten zu gehen. Das sind natürlich Anachronismen, deren Logik auch nicht durchgehalten ist. Der Superbowl, eines der größten Sportereignisse in den USA, darf zum Beispiel sehr wohl sonntags stattfinden.
Sind die USA also doch eine Art Gottesstaat?
Mit dem Begriff wäre ich vorsichtig, aber klar, es gibt eine Vermischung von Religion und Politik, was in der Wissenschaft oft „Zivilreligion“ genannt wird. Sie wird nirgends deutlicher als in der Inaugurationsfeier mit Gebeten zu Beginn und einem Schluss-Segen – Ritualen, die nicht zu einer säkularen staatlichen Zeremonie zu passen scheinen. Offiziell wird dann gern gesagt, es werde nicht der Gott einer bestimmten Religion adressiert. Deshalb wurde in den Inaugurationsreden lange Zeit auch nur ganz allgemein von einem „allmächtigen Wesen“ oder „jener unendlichen Macht“ gesprochen.
Das klingt ja wie in Heinrich Bölls Kurzgeschichte „Doktor Murkes gesammeltes Schweigen“, wo das Wort Gott in einem Radio-Manuskript durch die Formel „jenes höhere Wesen, das wir verehren“ ersetzt wird.
Seit Ronald Reagan beenden die Präsidenten ihre Reden mit der Formel „Gott segne Sie“ oder „Gott segne die Vereinigten Staaten.“ Ein Schritt darüber hinaus war das Vaterunser bei Obamas erster Vereidigung, eigentlich ein No Go, da hier klar Bezug auf eine bestimmte Religion genommen wird. Das ist auch sehr kontrovers diskutiert worden, ebenso wie die Aufforderung eines methodistischen Pfarrers bei George W. Bushs erster Inauguration 2001, das „Amen“ sollten bitte nur diejenigen Zuhörer sprechen, die an Jesus glaubten. Damit waren Juden, Buddhisten, Muslime, aber auch Nichtgläubige ausgeschlossen und haben gesagt: Wieso? Es geht doch auch um unseren Präsidenten!
Welchen Sinn hat die religiöse Aufladung der ganzen Feier?
Amerikaner als „Gottes auserwähltes Volk“
Sie drückt das Selbstverständnis der US-Amerikaner als „Gottes auserwähltes Volk“ aus. Auch das ist puritanisches Erbe und Teil der Zivilreligion. Europäern ist dieser Erwählungsgedanke oft fremd. Für US-Amerikaner hingegen verbindet sich damit die Selbstverpflichtung, sich der göttlichen Erwählung und des Erbes der Vorväter würdig zu erweisen. Jede Generation von Amerikanern wird daraufhin neu geprüft. Dieses Motiv durchzieht praktisch alle Inaugurationsreden.
Widmen Sie sich in Ihrer Forschung lieber dem Zeremoniell, weil die Reden am Ende doch nur heiße Luft sind?
Überhaupt nicht! Die Inaugurationsrede ist zwar selten programmatisch, sondern hat eher beschwörenden Charakter mit Bezug auf die zivilreligiös erhöhten Werte und Traditionen der USA. Aber sie ist von eminenter Bedeutung. Der Präsidentenstab feilt wochenlang daran. Die Bezugnahme auf die Helden der US-Geschichte, auf die Nationalheiligen wie George Washington, Thomas Jefferson, Abraham Lincoln und inzwischen auch Franklin D. Roosevelt oder John F. Kennedy gehört zum festen Repertoire.
Warum?
Weil es nach einem stets aggressiv geführten Wahlkampf für den neuen Präsidenten wichtig ist, die verfeindeten Lager zu versöhnen.
Finden etwaige Krisen Niederschlag in diesen Reden?
Zur Zeit der Weltkriege oder auch während der Großen Depression in den 1930er Jahren waren die Inaugurationsansprachen noch religiöser getränkt als sonst. Im Kalten Krieg war die Lichtmetaphorik sehr stark ausgeprägt: das Licht der Freiheit gegen das Dunkel des Kommunismus.
Ohne Bibel geht es nicht
Was ist 2013 von Obamas Antrittsrede zu erwarten?
Er wird sicher den Zusammenhalt der Nation zur Überwindung der Wirtschaftskrise stark machen und die nationale Einheit aus kultureller Vielfalt beschwören. Symbole dafür sind die Bibeln von Lincoln und Martin Luther King, auf die Obama seinen Amtseid leisten wird.
Ohne Bibel geht es nicht?
Fast alle Präsidenten haben auf die Bibel geschworen. George Washingtons Vereidigung hätte zwar beinahe ohne Bibel stattgefunden. Doch im letzten Augenblick wurde ein Exemplar herbeigeschafft, ausgerechnet aus einem Freimaurertempel. Seitdem hat nur John Quincy Adams, Präsident von 1825 bis 1829, stattdessen auf ein Gesetzesbuch geschworen. Nach Kennedys Ermordung 1963 wurde sein Vize Lyndon B. Johnson an Bord der Air Force One vereidigt. Dort fand sich zwar keine Bibel, wohl aber ein katholisches Messbuch. Das musste als Ersatz herhalten.
Also: Bibel muss sein. Neuerdings eben sogar zwei. Bei seiner „kleinen Vereidigung“ am Sonntag wird Obama noch eine dritte benutzen, eine Bibel aus Familienbesitz.
Wie funktioniert denn der Schwur auf zwei Bibeln gleichzeitig?
Indem man sie übereinanderlegt. Jedes Exemplar ist an einer bestimmten Textstelle geöffnet. Dwight D. Eisenhower wählte 1953 für die untere Bibel eine Stelle mit einer persönlichen Ermahnung zur Demut aus. Für die obere entschied er sich für einen Vers mit der Versicherung, dass Gott über seine Stadt – also das modellhafte Amerika – wacht. Seit 1965 darf übrigens die Präsidentengattin die Bibel halten.
„Die Sätze sind CNN-kompatibel geworden“
Immerhin ein Hauch von Veränderung.
Täuschen Sie sich nicht. Beständigkeit und Erneuerung, Tradition und Fortschritt bestimmen von jeher die Gestaltung der Inaugurationsfeiern. So hat zum Beispiel das Fernsehen deutliche Spuren hinterlassen. Früher war die Inauguration eine eher exklusive Angelegenheit. Bis 1921 sprach der neue Präsident ohne Mikrofon. Inzwischen ist es ein globales Ereignis. Das hat unter anderem dazu geführt, dass die Reden deutlich kürzer sind. Sogar die einzelnen Sätze sind kürzer geworden, CNN-kompatibel sozusagen.
Die längste Rede, die jemals gehalten wurde, dauerte zwei Stunden. Präsident William Harrison, der bei seiner Wahl 1841 schon 68 Jahre alt war, wollte mit dieser Rede seine Rüstigkeit unter Beweis stellen. Er zog sich in der Kälte eine Lungenentzündung zu und starb einen Monat später. Es war nicht nur die längste Inaugurationsrede, sondern auch die kürzeste Präsidentschaft in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Vielleicht war das Protokoll dadurch gewarnt. Jedenfalls fand Ronald Reagans zweite Vereidigung 1985 im Kapitol statt, weil draußen frostige Temperaturen von minus 29 Grad herrschten.
Ergänzend zu dem fein ziselierten Ablauf wird die Inauguration auch ausgelassen, fast karnevalesk gefeiert – mit den Auftritten von Showstars, Rock- und Popgrößen. Wie greift beides ineinander?
Dieses Kontrastprogramm ist extrem wichtig. Die Integration der Bevölkerung findet ja nicht nur durch die feierlich-getragenen Momente statt, sondern auch im Übermut des gemeinsamen Feierns. Das brauche ich Ihnen als Kölner nicht weiter zu erklären. Und auch wenn es für die Wissenschaft schwierig ist, die genaue Wirkung von Popkonzerten, Bällen oder Paraden zu erheben, geht doch aus den Reaktionen hervor, dass sich die Teilnehmer dadurch „als richtige Amerikaner“ fühlen.
Das Gespräch führte Joachim Frank.