Diesen Radfahrern in Berlin-Neukölln rufe ich zu: Schämt euch!

Unsere Autorin ist keine Fahrradheilige, aber was sie an diesem Morgen vor einer Grundschule beobachtete, empörte sie.

Schülerlotsen in Berlin
Schülerlotsen in BerlinJörg Carstensen/dpa

Es war kurz vor acht am Dienstagmorgen. Von Weitem schon bemerkte ich die beiden Schülerlotsen, die an jedem Werktag vor einer Grundschule in Nord-Neukölln Dienst tun. Die neongelben Westen und Kappen, die sie dabei tragen, machen sie unübersehbar. „Verkehrshelfer“ steht auf den Westen. Das ist der offizielle Begriff für ihre Tätigkeit, aber das Wort Schülerlotse hat sich gehalten. Ihr Arbeitsgerät ist eine Kelle. Mit deren Hilfe sperren sie die Straße ab, wenn Schüler sie sicher überqueren wollen.

Laut Verkehrswacht gibt es in Berlin rund 1300 Schülerlotsen. Es sind Schüler der 5. und 6. Klassen, das heißt, sie sind zwischen zehn und zwölf Jahren alt. Die Älteren helfen den Jüngeren, sicher in die Schule zu kommen. Schülerlotse ist ein Ehrenamt, das es seit 1953 gibt. Auch die Autorin dieses Textes hat es einmal ausgeübt. Polizeibeamte bilden die kleinen Lotsen aus.

Sie sind so etwas wie eine rote Ampel, aber werden nur im Bedarfsfall tätig und auch nur dann, wenn der Verkehr es zulässt. Nie wird ein Schülerlotse mit kurzem Abstand vor ein sich näherndes Auto, Moped oder Fahrrad springen, und es zum scharfen Bremsen zwingen. Mit dem Ruf „Frei“ verständigen sich die Lotsen, bevor sie auf die Straße treten. So war es auch an diesem Morgen.

Ein Schülerlotse ist doch eine Respektsperson

Sie traten vom Straßenrand hervor, standen mit dem Rücken zueinander, den Übergang in beide Richtungen absichernd. Die Schulkinder überquerten die Straße. Nun sollte die zweite Verständigung erfolgen. Denn die Lotsen latschen nicht einfach nach Gutdünken zurück auf den Bürgersteig, sie treten gleichzeitig zurück. Das aber wollte die Radfahrerin vor mir nicht abwarten. Sie fuhr einfach an den beiden vorbei. Es ging so schnell, dass niemand reagieren konnte. Wie zu Eis erstarrt blieben die Lotsen stehen. Der nächste Radfahrer näherte sich, ohne zu bremsen. Es war klar, was er vorhatte. Zum Glück war an diesem Morgen eine Polizistin anwesend. Sie stellte sich dem Radler geistesgegenwärtig in den Weg, und ermahnte ihn. Die Lotsen traten zurück.

Ich bin auch keine Fahrradheilige, ich habe auch schon mal eine rote Ampel ignoriert, wenn weit und breit niemand zu sehen war. Aber das hier war etwas anderes. Mehrere Aspekte von Schändlichkeit kommen hier zusammen: Kinder nicht ernst zu nehmen, Menschen, die ein Ehrenamt ausüben, nicht mit Respekt zu begegnen. Aber vor allem ist ein Schülerlotse kein Apparat, sondern ein kleines Wesen, das darauf vertrauen können muss, dass seine Kelle wirkt. Wer dieses Vertrauen beschädigt, sollte sich schämen! Er verrät die Grundlagen des Zusammenlebens.