Vorwurf gegen Süddeutsche Zeitung: SZ-Autor trickst bei Voßkuhle-Porträt
Heribert Prantl ist eine Größe im deutschen Journalismus. Wann immer das Land eine wichtige Rechtsfrage beschäftigt oder ein Gericht ein Grundsatzurteil fällt, verlangt es den Leser der Süddeutschen Zeitung zu erfahren, was Prantl dazu sagt. Seine pointierten Leitartikel haben Gewicht.
Die Leser vertrauen auf die Sachkenntnis des promovierten Juristen, der als Richter und Staatsanwalt gearbeitet hat, bevor Dieter Schröder ihn Ende der achtziger Jahre ins Politikressort der Süddeutschen geholt hat.
Ob Prantl hingegen künftig noch auf Seite 3 des Münchner Blatts gedruckt wird, wurde in der Konferenz am Montag vom Leiter des Reportage-Ressorts, Alexander Gorkow, ernsthaft in Zweifel gezogen. Ein Innenpolitikchef, seit Anfang 2011 noch dazu Mitglied der Chefredaktion, der auf Seite 3 Schreibverbot hat? Das hat es noch nicht gegeben.
Zum Essen Arbeitsweinchen
Stein des Anstoßes ist ein großes, überaus positives Porträt von Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichts. In dem am 10. Juli erschienenen Text bringt Prantl dem Leser den Mann nahe, der jener Institution vorsteht, die entscheiden wird, ob die Regierung beim Fiskalpakt und Rettungsschirm ESM verfassungskonform gehandelt oder gegen das Grundgesetz verstoßen hat.
Der Leser erfährt darin sogar, wie es bei Voßkuhle zu Hause zugeht, wenn er Gäste zum Essen einlädt: „Man muss ihn am Küchentisch erleben. Man muss erleben, wie er ein großes Essen vorbereitet. Bei Voßkuhles setzt man sich nicht an die gedeckte Tafel und wartet, was aufgetragen wird. Eine Einladung (…) beginnt in der Küche: Der eine Gast putzt die Pilze, der andere die Bohnen, der dritte wäscht den Salat. Zu diesem Arbeitsessen gibt es ein Arbeitsweinchen. Natürlich hat der Gastgeber alles sorgfältig vorbereitet, natürlich steht die Menüfolge fest; aber es entsteht alles gemeinsam. Jeder hat seinen Part, jeder hat was zu schnippeln, zu sieden und zu kochen, jeder etwas zu reden: Es geht um die Nudel, die Küchenrolle und um die Welt. Voßkuhle selbst rührt das Dressing. Man ahnt, wie er als oberster Richter agiert.“
Diese Passage ist Prantl zum Verhängnis geworden, denn er war nie in Voßkuhles Küche. Darauf legt der so Beschriebene Wert und ließ eine Gerichtssprecherin – was in der Form auch noch nie passiert ist – ausrichten, „dass Herr Prantl weder für diesen Artikel noch zu einem anderen Zeitpunkt von Herrn Voßkuhle zu einem privaten Essen eingeladen wurde, geschweige denn aus persönlicher Anschauung mit den Kochgewohnheiten des Präsidenten vertraut sein kann“. Unweigerlich erinnert das an den Fall von René Pfister vor gut einem Jahr.
Der Spiegel-Journalist erhielt für sein Porträt über Horst Seehofer erst den Henri-Nannen-Preis, um ihn dann wieder aberkannt zu bekommen. Die Schlüsselszene, in der er die Modelleisenbahn in Seehofers heimischen Keller beschreibt, hatte er nicht selbst erlebt. Alle Details stimmten, das bestätigte sogar Seehofer. Doch der Halbsatz, dass Pfister das alles nur erzählt worden war, fehlte. Ein handwerkliches Vergehen, das nun auch Prantl unterlief. „Das war ein Fehler“, bekannte Prantl am Montag hörbar angefasst im Telefonat mit dieser Zeitung.
Da war die Redaktionskonferenz gerade zu Ende, für die er eigens seinen Urlaub unterbrochen hat. Er wusste, dass es dort seinetwegen hoch hergehen würde. In seiner Stellungnahme sagte Prantl, er sei der Auffassung gewesen, aus dem Text gehe hervor, dass er nicht selbst in Voßkuhles Küche war.
Verleitet von Eitelkeit?
Er habe, so Prantl, seine eigene Person schließlich an keiner Stelle eingeführt. Die Szene sei ihm als gleichnishafte Zusammenfassung seiner zuvor beschriebenen Beobachtungen zu Voßkuhle erschienen. Im Nachhinein verstehe er jedoch die Kritik und die Häme, mit der er nun konfrontiert sei und ärgere sich umso mehr, da dieser Fehler so simpel zu vermeiden gewesen wäre.
Ein klärender Halbsatz hätte dem Text in keiner Weise geschadet. Hat ihn Eitelkeit zu diesem Fehler verleitet? Er habe sich nichts dabei gedacht, widerspricht Prantl. Das Porträt sei schnell geboren gewesen, er habe es erst am Produktionstag geschrieben.
Thematisiert wird der Fehltritt erst jetzt, weil die FAZ am vergangenen Donnerstag auf Seite 1 verklausuliert geschrieben hat: „Andreas Voßkuhle mag kein Dressing. Aber er muss damit leben, dass ihm das von vermeintlichen Zeugen seiner Kochkunst angedichtet wird.“
Wolfgang Krach, stellvertretender Chefredakteur der SZ, kündigte am Montag an, am Mittwoch auf der Forumseite eine Klarstellung zu drucken. Was Gorkows Einwand angeht, Prantl auf der Seite 3 nicht mehr drucken zu wollen, sagte er: „Bei uns erteilt kein Ressortleiter einem Autor ein Schreibverbot.“
Prantl selbst sagt, Gorkow sei bisweilen so impulsiv wie er selbst. Er hofft auf ein klärendes Gespräch unter vier Augen.