Wenn der Bildersturm implodiert

Das sehenswerte Jugenddrama „Waves“ wagt ein narratives Experiment und gewinnt

Kelvin Harrison Jr. (r) als Tyler und Renee Elise Goldsberry als Catharine in einer Szene des Films "Waves".
Kelvin Harrison Jr. (r) als Tyler und Renee Elise Goldsberry als Catharine in einer Szene des Films "Waves".
Courtesy Of A24/Universal Pictur

Berlin-Hart trainieren, hart feiern. Eine gesunde Work-Life-Balance ist das nicht, aber so hat sich Tyler das ausgesucht. Zwischen Ringer-Karriere und Dauerparty sieht der Sohn schwerreicher Eltern keinen Widerspruch, scheinbar zumindest, sein Leben gleicht einem ziemlich tollen HipHop-Video. Mit dem eigenen SUV cruist der junge Mann durchs sonnige Florida, in unwirklich gefilterten Pastellfarben mit Kreiselkamera, danach geht es wieder an die Hanteln. Trainiert wird mit dem Vater, der mindestens genauso verrückt ist wie er, nämlich verrückt streng. Aber das Gefühl, hier könne irgendetwas schiefgehen, hat die Regie für sich allein. Dann geht alles schief, und zwar gründlich.

Trey Edward Shults ist mit dem Horror-Thriller „It Comes at Night“ bekannt geworden. Auch „Waves“ evoziert eine unheilvolle Spannung, die den knalligen Bildern zu widersprechen scheint, bis Männlichkeitswahn und hochtouriger Stilwille ganz logisch implodieren. Der Filmemacher hat beim ätherischen Altmeister Terrence Malick hospitiert, das sieht man. Zugleich ist er mit der jüngeren Popkultur vertraut, der sich sein dritter Film umstandslos anschließt. Der Name von Tyler the Creator, die blondierten Haare vom sensiblen Barden Frank Ocean – wie Tyler aussieht, hört man gewissermaßen auf dem Soundtrack. Manchmal singt er auch mit bei dem, was da aus seiner Anlage dröhnt, ein rarer Einblick in seine Gefühlswelt. Und just, als man darum bettelt, dass dieses wirklich sehr ansehnliche Musikvideo jetzt doch bitte aufhören möge, ist alles vorbei.

Dass damit gleich ein gänzlich neuer Film anfängt, hat „Waves“ große Aufmerksamkeit beschert. Shults wagt ein Experiment, wechselt die Perspektive und zwischendurch sogar das Bildformat, mehr sollte man nicht verraten. Der zweite Teil, der den ersten in vielen Elementen spiegelt, gibt indes Gelegenheit, die Dinge noch einmal anders zu bewerten, in ruhigerer Stimmung dieses Bild einer afroamerikanischen Familie im Kopf neu zusammenzusetzen. Zehnmal mehr müssten Schwarze sich anstrengen in dieser weißen Welt, hat der Vater dem Sohn eingeschärft, in einem Film, für den Hautfarbe ansonsten keine Rolle zu spielen scheint. Wer lag hier falsch? Wie müsste man es besser machen? Womit ringt Tyler? Das Jugenddrama hat nicht die emotionale Tiefe von Barry Jenkins’ Oscarwerk „Moonlight“, nach der es deutlich strebt. Aber inmitten des Effektgetöses steckt eine sehr ernsthafte Auseinandersetzung mit der Welt, in der junge Menschen heute aufwachsen. Wie der Film sie zeichnet, ist sie berauschend schön, aufregend und ziemlich unheimlich.

Waves, USA 2019. Buch und Regie: Trey Edward Shults, Darsteller: Kelvin Harrison Jr., Taylor Russell, Lucas Hedges, Sterling K. Brown u.a.; 135 Min., Farbe. FSK 12.