Wer kennt schon noch Häkelstab?
Eine verlorene Vielfalt: Im Berliner Technikmuseum werden Gewebe der Vergangenheit gezeigt.
Berlin- Verborgene Strukturen heißt die kleine Sonderausstellung. Es sind auch verlorene Strukturen, eine verlorene Vielfalt, die hier zu entdecken sind. Wer kennt schon noch das Gewebe namens Häkelstab, für dessen Herstellung man einen speziellen Webstuhl brauchte. Das im Technikmuseum gezeigte Material aus Leinen und Wolle stammt aus dem Jahr 1913. Man weiß nicht einmal mehr genau, wozu es verwendet wurde. Für Damenoberbekleidung und Fensterbekleidung, also Vorhänge, vermutlich. Das Doppelgewebe mit Warenwechsel ist ein Möbelstoff aus Wolle, dessen Besonderheit es ist, dass er aus zwei Lagen besteht, also sehr fest ist. Aber wie genau das Gewebe aufgebaut ist? Man müsste das vorliegende Muster auseinandernehmen und also zerstören, um es herauszufinden.

Wie unter dem Mikroskop - Fotografien von Heiner Büld
Details der zwanzig Muster von Whipcord, Scheindrehergewebe oder Madras, die die Ausstellung umfasst, hat der Berliner Fotograf Heiner Büld stark vergrößert. In Form von Wandpaneelen sind sie mit dem jeweiligen Original kombiniert. Es ist, als hätte Büld die Gewebe unter ein Mikroskop gelegt. Seine Fotografien bringen eine Struktur zutage, die mit bloßem Auge nicht zu sehen ist. Man bekommt so einen Eindruck von den unterschiedlichen Webarten, aber es enthüllt sich einem auch eine eigene Ästhetik. Wie eine wulstige Landschaft aus erkalteter Lava etwa erscheint das lilafarbene Blasengewebe, was mit bloßem Auge wie Stickerei wirkte, erweist sich in der Vergrößerung eingewebt und erscheint zugleich wie Moos. Was durchgehend und glatt schien, hat luftige Maschen und lose Fäden.
Wissen und Webstühle verschwanden
Zur Hochzeit der Textilindustrie Anfang des 20. Jahrhunderts gab es Tausende verschiedener Arten von Stoffen. Von den 1930er-Jahren an wurde die Textilindustrie rationalisiert und viel verschwand. Das gilt für das Wissen um die Herstellungsverfahren wie auch für die Webstühle. Von den hier gezeigten Stoffen könnte kaum noch einer in Deutschland hergestellt werden. Sie entstammen der Sammlung von Wieland Poser, Schüler von Willy Sitte, der bis 2006 an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle Professor für Modedesign und Textil war. Ziel seiner Sammlung aus den 1970er-Jahren war es, ein Lexikon der Gewebearten aus der Zeit zwischen 1880 und 1937 mit dazugehörigen Stoffproben anzulegen. Er konnte über 2 000 mit Produktnamen versehene Gewebearten ausmachen, doch für alle noch Proben zu finden war nicht mehr möglich. Seine Sammlung umfasst immerhin knapp 500 Stoffmuster, oft sind sie nur wenige Zentimeter groß. 2016 übergab er sie dem Deutschen Technikmuseum.
Verborgene Strukturen Di−Fr 9–17.30 Uhr, Sa+So 10–18 Uhr, Deutsches Technikmuseum, Trebbiner Str. 9. Bis 10. Mai