Wie Berliner Museen nach Vorschulkindern und ihren Eltern angeln
Ein Vermittlungsprogramm der Staatlichen Museen und der Fröbel-Kindergärten wendet sich an Kinder, die noch nicht von der Schule verdorben sind. Eine Reportage.

Sind Kindergartenkinder zu jung für die Kunstschätze, die in unseren Museen herumhängen? Oder ist es eher so, dass Schulkinder schon zu verdorben sind, um einen unmittelbaren Zugang zu den Werken und Motiven zu finden, einen, der die Seelen direkt anschließt, die noch nicht allzu besetzt sind von den Normen und dem Geschmack der kulturellen und kommerziellen Angebote, die durch Internet und Fernsehen in den Familienalltag schwappen. Man muss nur einmal gucken, wie die meisten Kinder das Malen verlernen, sobald sie in die Schule kommen. Auf einmal gibt es Regeln und Kriterien, auf einmal soll es den Mitschülern und Lehrern gefallen, auf einmal ist da das Zögern zwischen der Idee, dem Griff zum Stift und der Linie auf dem Papier.
Es ist also höchste Zeit und eigentlich verwunderlich, dass es erst jetzt passiert, dass die Staatlichen Museen zusammen mit dem Kita-Träger Fröbel das Pilotprojekt 4+ gegründet haben und die frühkindliche Museumspädagogik ins Leben rufen wollen. Seit Oktober 2022 durchlaufen 36 Kinder aus drei Kitas ein Programm in mehreren Modulen, das in den drei Fröbel-Einrichtungen beginnt und dann mit vier Besuchen im Haus Bastian an der Museumsinsel und der Alten Nationalgalerie weitergeht.
Eine Generation von Kennern
Dazu kommen Vor- und Nachbereitung und der Austausch zwischen den museumspädagogischen Vermittlerinnen und den Kita-Fachkräften. Die Kinder dürfen sich selbst künstlerisch betätigen und dann ins Museum gehen, um zu gucken, wie andere sich angestellt haben. Das darf den Kindern einfach Spaß machen, und das tut es auch, wie sich nach einem Pressetermin bezeugen lässt. Aber zugleich erhofft man sich natürlich einiges, was man mit allzu griffbereiten Worthülsen zu beschreiben versucht: kulturelle Bildung, Teilhabe, gesellschaftlicher Auftrag, Integration, Niedrigschwelligkeit, Vernetzung von Kultur- und Bildungseinrichtungen, Erschließung neuer Zielgruppen. Man muss nur einmal mitmachen, um die Schönheit und Freude zu schmecken zu bekommen, die in diesen Begriffen steckt.
Und vieles liegt ja auf der Hand: Zum Beispiel, dass während der Kindergartenzeit nicht nur der Kontakt zwischen Kinderkopf und Kinderhand, sondern auch der Kontakt zwischen den Institutionen und den Familien viel direkter und näher ist. Spätestens in der Schule hören die Kinder auf, einfach so ohne die Anwendung von investigativen Mitteln und Zwangsmethoden zu erzählen, was sie am Tag erlebt haben. Wir dürfen also hoffen, dass die Eltern der Kleineren erfahren, was sie so erlebt haben in den Museen, und dass es möglicherweise interessant sein könnte, mal wieder zusammen hinzugehen – und sich von den kleinen Kennern herumführen zu lassen.

Malen mit Premiumaussicht
Bei der Vorstellung des Projekts durften Journalisten den Kindern beim Kreativsein zugucken. Schon allein, wie schnell sie die eigentlich ein bisschen einschüchternden und edlen Räumlichkeiten des Hauses Bastian in Beschlag nehmen. Wohin hat es sie denn da verschlagen? Deckenhöhen von mindestens sechs Metern, Licht, das durch riesige Fenster flutet, spärliche, aber durchdachte Einrichtung, schöne Materialien und natürlich der Blick auf die Eiserne Brücke, die James-Simon-Galerie, das Neue Museum und die Spree – da, ein präsentabler Kormoran gefällt sich im Flug zwischen den Kulissen!
Das ist schon erheblich repräsentativer als die Friedrichshainer Mietwohnung oder die Kita, vor allem aber sind die Leute nett und spendabel, was Malkreide, Stifte und Papier in allen Farben angeht. Ein kleiner roter Drache, genannt Muki, übernimmt einen großen Teil der Moderation und Anleitung. Vorhin haben sich die Kinder ein paar Gesichter von berühmten Gemälden angesehen und versucht zu beschreiben, wie sich zum Beispiel die geschminkte Frau mit dem hohen blauen Hut und den angeknabberten Ohren fühlen könnte. Und sie haben selbst Gesichter gemacht: wie sieht man aus, wenn man grübelt, erschrocken ist, sich langweilt, weint, Angst hat, wenn man die Zunge rausstreckt, schielt und – das dann nicht mehr kontrolliert: wenn man lacht.
Nicht schreien, nicht rennen, nichts anfassen
Später geht es rüber ins Museum, Jacken brauchen wir nicht, einmal über die Eiserne Brücke, durch die Kolonaden, vorbei an Schulklassen, die die Köpfe drehen, um lächelnd auf die Kleinen herabzublicken. Ah, da ist ja auch die Frau wieder, ruft ein Junge und zeigt auf ein Plakat mit Nofretete. Kurz noch mal die Regeln checken: nicht schreien, nicht rennen, nichts anfassen. Das klappt dann auch mehr oder weniger, den kleinen Alarm lösen jedenfalls die Kollegen von der Presse aus, als sie beim Fotografieren einen Schritt zu nah an ein Gemälde kommen.

Die Kindergruppe streift, sich an einer gelben Leine festhaltend durch die Säle, lässt sich auf dem Fußboden vor dem Gemälde von Arthur Kampf nieder, aus dem Jahr 1907. „Der Artist“ heißt es und zeigt einen überlebensgroßen Tänzer mit gezwirbeltem Schnurrbart, muskulösem Gebein in weißen Leggins, Ballettschuhen sowie pinker Turnhose samt goldenem Saum – das Motiv hat auf jeden Fall das Zeug für eine Schwulenikone. Das ist den Kindern natürlich egal, sie sollen mal die Pose nachmachen: Spielbein, Standbein, Hüfte, Blick. Der Saal mit den Gründerzeitwerken gibt einiges her an Geschichten, Seltsamkeiten und komischen Vögeln, wie der Typ mit der Pickelhaube oder die Tante mit dem Federfächer. Die Vermittlerinnen reichen noch einmal einen Rahmen herum, damit man den Leinwandhelden seine eigene Fratze zeigen kann. Doch, es macht Spaß, reicht dann aber auch.

Das muss Schule machen
Es wird angestrebt, dass alle Kitas dieser Stadt an einem solchen Programm teilnehmen können. Das Pilotprogramm hat 50.000 Euro gekostet. Ein Durchgang schlägt mit circa 1100 Euro zu Buche, inklusive Personal, Museumstickets, Malzeug und Button. Letzteren kriegen die Kinder an die Jacke gesteckt, nehmen ihn mit nach Hause, damit die Eltern sie darauf ansprechen und ins Reden kommen. Wenn man sich die Meute von Journalisten, Öffentlichkeitsarbeitern und Museumsfunktionären wegdenkt, die so seltsam angetan grinsen und überflüssige Fragen stellen, wäre man gern Kind gewesen an diesem Vormittag, und wenige Jahre später wüsste man auch sehr genau, was man tut, wenn man sich im Museum anklebt.