Wie man ein Tinderdate nennt, das sich wie ein U-Boot verhält
Submariner, Situationship, Mingle: Unsere Autorin analysiert mit Hilfe des Tinder-Vokabulars ihre Dates.

Da kann ich mich noch so jung und unabhängig fühlen, frisch und motiviert in allem, den Krisen trotzend, als gäb’s kein Morgen – doch dann gibt eines Tages die Spülmaschine ihren Geist auf. Ich hänge in ihren Eingeweiden, der Spülkorb schräg über dem Propeller, ich versuche den Fehler zu entdecken, mit der Handytaschenlampe einigermaßen den Innenraum ausleuchtend. Mein großer Sohn guckt um die Ecke, er kennt meinen Ehrgeiz, nach der Trennung von seinem Vater selbst alles lösen zu wollen, besonders die Dinge mit der Technik. Er raunt im Vorbeigehen, dass man auch YouTube-Videos gucken könne, wenn’s hart auf hart kommt. Ansonsten würde er später mal nachschauen.
Beim Recherchieren im Netz fällt mir auf, dass wir diesen Zeiteinsparungsapparat wohl schon vor vielen Jahren erworben haben, genau genommen sind es zehn. Im Zeitalter der Obsoleszenz ist das steinalt und nicht mehr zu reparieren. Wenn ich dieses Prinzip auf mich anwenden würde, ginge es gleich ab in eine Altersdepression. Oder vielleicht doch schon den Pflegeplatz reservieren? Oft, wenn eine erst „kürzlich“ getätigte Anschaffung kaputtgeht, fühle ich mich auch selbst schlagartig ausgemustert. Abgesehen davon war diese Maschine Teil einer Phase, in der es uns als Paar noch sehr gut ging.
Im selben Moment trudelt eine Nachricht von Tinder ein. Tinder habe ich vor vier Jahren aktiviert, nach einer Flasche Wein und viel Weinen, was sich wie eine bescheuerte, großartige Rache anfühlte. Männer wegzuwischen, um dann festzustellen, dass das den Herzschmerz nicht wirklich lindert, aber immerhin für hilfreiche Ablenkung sorgt. Es hat sich auch die eine oder andere denkwürdige Begegnung ergeben. Vor allem die mit K., den ich ab sofort nur für das eine traf. Bestimmt, um Gefühle zu relativieren. Als er zwei Jahre später meinte, er habe sich in eine andere verliebt, zeigte ich Verständnis. Schließlich war er viel jünger und wünschte sich eine Familie. Ich war dann aber doch so enttäuscht, dass ich Tinder löschte.
Ich bin mal wieder die Älteste im Raum
Nun also eine Nachricht aus der PR-Abteilung. Sie würden zu einem besonderen Event für die Presse einladen. Beim Googeln nach der Location stelle ich fest, dass es sich um einen ehemaligen Puff handelt. War das Absicht? Was sollte und wollte ich da? Nur wieder mal merken, dass ich meinen Glauben an diese onlinedatingschnelle Nummer komplett verloren habe?
Die PR-Frau empfängt mich mit offenen Armen. Es ist kurz nach halb neun, das Event läuft schon seit zwei Stunden. Das Motto des Abends ist „Dein Sternzeichen“, weil sie analysiert haben, wie oft das in der Beschreibung der eigenen Person genannt wird. Werden die Sterne mir also meine Skepsis austreiben, wie die leckeren Häppchen – Ziegenkäse mit Honig auf Knusper – meinen Hunger? Ich bin wieder mal die Älteste im Raum, verdränge aber diesen Gedanken mit dem angereichten Prosecco, zu dem mir die nächste PR-Frau zuprostet.
Sie erzählt, dass die eigentliche Zielgruppe von Tinder zwischen achtzehn und fünfundzwanzig liege, man jedoch auch die älteren Jahrgänge an diese Form der Freundfindung heranführen wolle. Ihre Mutter nutze das jetzt ebenso, sagt sie, und sie lacht dabei sehr sympathisch, sodass ich vergesse, nach dem Alter ihrer Mutter zu fragen. Ja, man ist so jung, wie man sich fühlt. Kaputte Spülmaschine hin oder her.
Am Nebentisch sitzt die Wahrsagerin. Auch sie ist um die fünfundzwanzig, trägt einen Flattermorgenmantel, dazu Hausschuhe für warme Füße, sie legt bereits seit drei Stunden die Tarotkarten aus: Wenn ich wolle, könne ich mich in die Warteliste eintragen. Im Anschluss bekäme ich auch noch ein knallrotes Tindertagebuch mit einem Lexikon für die womöglich unbekannten Codes. Das will ich natürlich sofort besitzen und erfahre darin, wie ich meinen K. in Tinderzeiten eigentlich hätte nennen sollen: nämlich einen Submariner, weil er immer wieder aufgetaucht und abgesunken ist wie dieses schöne Beatlesboot. Dass er kein Hubby Material gewesen sei, zumal er keine besonderen Kochkünste an den Tag gelegt hätte (klar, wir trafen uns ja nur für das eine), aber wack (langweilig) war es trotzdem nicht mit ihm, zumal wir davor ziemlich woke (politisch aufgeweckte) Gespräche geführt hatten. Er musste mir keine Nudes (Nacktbilder) von sich schicken, damit mich die Erinnerung an ihn wachhielt, und ach: eine Situationship (undefinierte Beziehung zwischen Affäre und mehr) wäre nicht schlecht gewesen.
Der Tod auf dem Tarot-Kartenkopf
Je länger ich über diese Zeit nachdenke, desto mehr ist mir nach Love Bombing, dass ich ihn nachträglich überschütten möchte, wohl meinend, dass er eigentlich Mingle sei (ein offizieller Single, der sich temporär auf eine Beziehung einlässt). Bevor ich mich vor lauter neuem Gedankengut (der Alkohol wirkt) zum Liebesaffen mache, winkt mich die Wahrsagerin heran. Im Grunde bin ich jetzt in Partystimmung. Aber sie will wissen, welche Frage ich denn an die Karten hätte.
Ich muss nach jahrezehrendem Benching (auf der Reservebank) nicht lange zögern und posaune, dass ich mich da wohl in jemanden verliebt hätte, der eigentlich nichts von mir haben wollte und dass sich das vielleicht sogar zum Prinzip herausgearbeitet hatte, von wegen ich will mehr als er. Selbstverständlich ist diese Frage nicht sehr speziell, aber die Wahrsagerin lehnt sich nach stundenlangem Zukunftslesen mit geradem Rücken zurück, mischt die Karten neu, drapiert ein Muster auf das Tischlein und flüstert, dass das wirklich eine interessante Frage sei. Vor lauter Aufregung sehe ich, dass da der Tod auf dem Kartenkopf steht und mich von unten anblinzelt, umso wichtiger, dass die junge Frau mir jetzt einen entscheidenden Hinweis gibt.
Verwunderlicherweise blickt sie nicht groß auf das Aufgedeckte, sondern mir in die Augen, lächelnd. Will sie etwa Kittenfishing betreiben (bewusst anderes Darstellen der Tatsachen, um sich attraktiver zu machen)?

Mein vor Leidenschaft loderndes Sternzeichen
„Du musst jetzt nur noch an dich denken. Und meditiere, falls du es nicht bereits tust!“ Bin ich jetzt erleichtert? Melde ich mich doch wieder an? Die PR-Damen haben sich alle ins Zeug gelegt, am Ausgang wird mir noch ein hübsches Plakat mit meinem vor Leidenschaft lodernden Sternzeichen überreicht. Soweit ich das überschaut habe, war der Frauenanteil überproportional hoch, obwohl mir doch zugesichert worden war, dass sich inzwischen auch Männer nach ihrem Horoskop erkundigen würden. Auf dem Heimweg entdecke ich, dass man ganz einfach nach Ersatzteilen für Haushaltsgeräte googeln kann und die sogar innerhalb von 24 Stunden zugesandt werden.
Mehr an mich denken, ist gut! Ein paar Tage später schicken die Sterne eine Nachricht von K. Er sei zufällig ganz bei mir in der Nähe, ob ich nicht spontan Lust hätte, ihn zu treffen. Da kann ich leider nicht, ich lasse die Antwort ein paar Stunden auf sich warten. Schließlich habe ich ein wichtiges Paket entgegenzunehmen. Das Wort Ersatzteil schreibe ich aber nicht. Wesentlich besser fühlt es sich an, als ich „Der Techniker kommt“ in den Display haue. Über mir mein Plakat als Mahnung.